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Dezentrale Zwischenlager: die neueste Entsorgungslüge

Mit den dezentralen Zwischenlagern will die Bundesregierung einen vom ungelösten Entsorgungsproblem befreiten Weiterbetrieb der AKWs absichern - gegen den erklärten Widerstand der Anti-AKW-Initiativen an allen Standorten und unter Mißachtung des Atomgesetzes.

(Hinweis zum Layout bzw. Aufbau des Artikels:)
Auf den folgenden Seiten findet sich in der linken Spalte eine Zeittafel, in der die Entsorgungsanstrengungen in der BRD aufgeführt sind. In der rechten Spalte werden ausgewählte Ereignisse erläutert.

Ziel ist es darzustellen, daß die dezentralen Zwischenlager der vorerst letzte Versuch einer Bundesregierung sind, die auch nach gut 30 Jahren kommerzieller Nutzung der Atomenergie noch immer ungelöste Entsorgung des Atommülls zu verschleiern.


Zeittafel

1968:

Obrigheim geht als erstes kommerzielles AKW der BRD ans Netz

1972-75:

USA, England (wegen Unfall vorübergehend), Belgien geben die Wiederaufarbeitung (WAA) auf. Die deutsche Chemische Industrie zieht sich aus der Option als Betreiber einer WAA zurück, da sie nicht wirtschaftlich betrieben werden könne.

Mitte der 70er:

Bundesregierung will ein Integriertes Entsorgungszentrum

1976:

Der § 9a (Anforderungen an die Entsorgung) wird ins Atomgesetz eingeflickt. Zu diesem Zeitpunkt sind schon 6000 MW AKW-Leistung am Netz.

1977:

Gorleben soll Standort des Integrierten (zentralen) Entsorgungszentrums und des Bundesendlagers werden.

1977:

OVG Lüneburg ordnet Baustopp für das AKW Brokdorf an wegen ungeklärter Entsorgung.

1979:

Antrag für ein externes Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente in Ahaus (1500 Tonnen)

1979:

Gorleben-Hearing: Nds. Ministerpräsident Albrecht erklärt angesichts massiver Proteste in der Bevölkerung und unter dem Eindruck des Kernschmelzunfalls in Harrisburg (USA), daß eine WAA in Gorleben z. Z. politisch nicht durchsetzbar sei. Das war das Aus für das Integrierte Entsorgungszentrum.

1979:

Die Bundesregierung setzt nun auf ein Integriertes Entsorgungskonzept, das eine Dezentralisierung aller Entsorgungsaktivitäten vorsieht.

1979:

Die Regierungschefs von Bund und Ländern verabreden den "Entsorgungsbeschluß". Er sieht die Verwirklichung einer deutschen WAA vor und einen Systemvergleich zwischen Wiederaufarbeitung und direkter Endlagerung. Das Bundesendlager soll spätestens Ende der 90er Jahre betriebsbereit sein. Als Entsorgungsvorsorgenachweis für den Weiterbetrieb von AKWs gilt der Nachweis über den Verbleib der abgebrannten BE für 6 Jahre im voraus. Es wird erwartet, daß mit der WAA und dem Schnellen Brüter ein Brennstoffkreislauf entsteht.

1980:

Antrag für ein externes Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente in Gorleben (1500 Tonnen)

Anfang der 80er:

In Hessen, Niedersachsen, Bayern und Rheinland-Pfalz werden Standorte für eine WAA gesucht.

1981:

OVG Lüneburg hebt Baustopp für das AKW Brokdorf auf. Es erkennt Fortschritte bei der Lösung der Entsorgungsfrage.

1984:

In der Systemstudie "Andere Entsorgungstechniken" wird die direkte Endlagerung (Endlagern der abgebrannten BE ohne vorheriges Zerstören der Brennstäbe) gegenüber der WAA als vorteilhaft bewertet. Insbesondere die SPD-regierten Bundesländer favorisieren die direkte Endlagerung.

1985:

150 Bundestagsabgeordnete stellen daraufhin beim Bundesverfassungsgericht einen Normenkontrollantrag. Das BVerfG soll feststellen, daß die Erzeugung und die energiewirtschaftliche Verwendung von Plutonium nicht durch das Atomgesetz gedeckt sind.

1985:

Die Bundesregierung hält weiter an der WAA fest, weil sie befürchtet, daß die direkte Endlagerung vor Gericht als Entsorgungvorsorgenachweis keinen Bestand haben könnte.

1985:

Wackersdorf wird als Standort für eine WAA benannt.

1986:

Die Bundesregierung hält eine deutsche WAA im Hinblick auf die Entsorgungssicherheit für dringend geboten und stützt die WAA Wackersdorf in jeder Hinsicht.

1988:

Im Entsorgungsbericht stellt die Bundesregierung fest: " ... Die Möglichkeit der Wiederaufarbeitung bestrahlter BE im Ausland stellt keine Alternative zur WAA im Inland dar. .."

1989:

VEBA-Chef Benningsen-Förder unterrichtet die Bundesregierung darüber, in Frankreich wiederaufarbeiten zu lassen.

1989:

Bayern verlangt vom Bundeskanzler unverzüglich eine Richtlinienentscheidung, daß die Bundesregierung weiterhin zu Wackersdorf und dem zugrundeliegenden Entsorgungskonzept stehe. Kohl erklärt auf einer Pressekonferenz unzweideutig, daß das geltende Entsorgungskonzept durch die Absichtserklärungen der VEBA und Cogema nicht berührt werde.

1989:

Auf Drängen der SPD-regierten Bundesländer beschließen die Regierungschefs, erneut einen Staatssekretätsausschuß einzusetzen, der Vorschläge für die Fortentwicklung des Entsorgungskonzepts erarbeiten soll.

1990, 1991:

Die Bundesregierung sichert die Wiederaufarbeitung in Frankreich und England durch Notenwechsel völkerrechtlich ab. Damit war auch das Integrierte (dezentrale) Entsorgungskonzept von 1979 gescheitert.

1991:

Die für die Atomaufsicht zuständigen Staatssekretäre der SPD-geführten Bundesländer bewerten den Bericht des 1989 eingesetzten Arbeitskreises auf Staatssekretärsebene zur Entsorgung der deutschen AKWs und kommen zu dem Schluß, daß die direkte Endlagerung sicherheitstechnische, wirtschaftliche und soziale Vorteile gegenüber der WAA hat. Dies wird bezüglich der Wirtschaftlichkeit vom Bundesrechnungshof bestätigt. Selbst wenn Vertragsstrafen an die ausländischen WAA-Firmen zu zahlen wären, käme die direkte Endlagerung plus dem Kauf von BE aus angereichertem Natururan billiger als die WAA und der Einsatz von PlutoniumMischoxidBrennelementen (MOX).

1991:

Der Hessische Umweltminister Fischer, die Nds. Umweltministerin Griefahn und der schleswig-holsteinische Energieminister Jansen stellen insgesamt vier Gutachten vor, die alle zu dem Schluß kommen, daß die Wiederaufarbeitung im Ausland keine schadlose Verwertung im Sinne des § 9a des AtomGesetzes darstelle und die deutsche StrahlenschutzVerordnung unterlaufe. Die Entsorgungsvorsorgegrundsätze von 1979 seien für die Atomaussichtsbehörden der Länder rechtlich nicht verbindlich. BMU Töpfer wird aufgefordert zu erklären, für welche Übergangsfrist die Zwischenlagerung der bei der WAA anfallenden radioaktiven Stoffe - ohne daß es ein Endlager gibt - als alleinige Entsorgungsvorsorge akzeptiert werden kann.

1992:

Der Staatssekretärsausschuß meint, daß das Endlager im Jahr 2030 betriebsbereit sein könnte. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die in den deutschen AKWs erbrütete Plutoniummenge trotz WAA und MOX-Einsatz auf 200 Tonnen angewachsen sein.

1990er Jahre:

Nds. Ministerpräsident Schröder versucht in mehreren Konsensrunden im wesentlichen eine Dezentralisierung der Entsorgungspflichten zu erreichen, um Niedersachsen zu entlasten. Seine Vorschläge werden nicht einmal von der SPD mehrheitlich gestützt.
1994: Im ArtikelGesetz werden (aus SPD-Sicht endlich) die direkte Endlagerung und WAA als gleichberechtigte Optionen im Atomgesetz verankert.

Ab 1995:

 

 

14 Jahre nach Antragstellung beginnt die Einlagerung von Behältern mit abgebrannten BE und Kokillen aus LaHague im zentralen Zwischenlager Gorleben.

1997:

Hessens Umweltstaatssekretär Baake übt scharfe Kritik in Richtung Merkel wegen der fehlenden Entsorgung.
Hessen versucht für Biblis A und B durch eine Auflage zu klären, wie der Betreiber RWE die gesetzlich geforderte Entsorgung sicherstellt. BMU Merkel verhindert die Auflage per Weisung.

1998:

Die rot/grüne Landesregierung in Kiel will dem AKW Brokdorf das Wiederanfahren wegen des fehlenden Entsorgungsnachweises verwehren. BMU Merkel droht eine Weisung an und die Atomaufsichtsbehöre knickt ein.

1998:

8. AtomGesetznovelle: Bau und Betrieb des Endlagers werden privatisiert. Erst ab einem Gehalt von mehr als 15 Gramm Kernbrennstoff pro 100 kg Abfall gelten Stoffe als Kernbrennstoff (bis dahin schon ab 3 Gramm).

1998:

Michael Sailer vom Öko-Institut geißelt die Anti-AKW-Bewegung, daß sie nur auf die Verhinderung von Castor-Transporten ausgerichtet sei. Damit tritt er die Debatte um dezentrale Zwischenlager los.

1998:

Die seit Jahren geübte Praxis, kontaminierte Atomtransportbehälter quer durch Europa zu kutschieren, wird bekannt. Die Betreiber erklären sich bereit, erst dann wieder zu transportieren, wenn BMU Merkels Zehn-Punkte-Plan abgearbeitet ist.

1998:

Die grüne Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlicht ein Gutachten der Gruppe Ökologie aus Hannover, in welchem die Beendigung der WAA gefordert und ein einziges Endlager als ausreichend bezeichnet werden. Bis zu dessen Inbetriebnahme nicht vor 2030 werden aus sicherheitstechnischer Sicht dezentrale Zwischenlager an den AKW-Standorten vorgeschlagen.

1998:

Im Frühjahr wiederholt Baake seine ablehnende Position gegen dezentrale Zwischenlager.

1998:

Im Koalitionsvertrag erklären Grüne und SPD die Entsorgungspolitik der alten Bundesregierung für gescheitert. Statt konsequenterweise den Weiterbetrieb der AKWs zu untersagen, verständigen sich die Koalitionspartner darauf, den Betreibern dezentrale Zwischenlager als Entsorgungsnachweis anzubieten. Damit entsprechen sie einem lange gehegten Wunsch der Betreiber, die nun über eine billige und rechtssichere "Entsorgung" verfügen werden und endlich aus der teuren Wiederaufarbeitung aussteigen können.

1998:

Einige grüne Landesverbände stimmen den dezentralen Zwischenlagern unter der Bedingung zu, daß vorher die Restlaufzeiten der jeweiligen AKWs festgelegt sein müsse.

1998:

Auf der Herbstkonferenz der Anti-AKW-Bewegung wird ein gemeinsames Vorgehen gegen die dezentralen Zwischenlager beschlossen. Die Gruppe Ökologie bestätigt ihre Aussagen zur dezentralen Zwischenlagerung, allerdings unter der Nebenbedingung, daß die Restlaufzeiten der einzelnen AKWs unumkehrbar feststehen, um so die Größe eines jeden Zwischenlagers festlegen zu können. Die Standort-Initiativen verabreden regelmäße Treffen.

1999:

Im Januar unterzeichnen alle Standort-Initiativen (einschließlich derjenigen, wo bereits zentrale Zwischenlager (Ahaus, Gorleben, Greifswald) vorhanden sind) einen Beschluß gegen den Bau dezentraler Zwischenlager.

2000:

BMU Trittin erklärt, daß die Castortransporte wieder aufgenommen werden können. Er fordert keine neuen Falltests für die Behälter und keine verbesserten Deckeldichtungen. Die Ursachen für die Kontaminationen sind weiterhin ungeklärt.

2000:

Die Betreiber haben für alle AKW-Standorte Anträge auf Zwischenlager gestellt. Die PreussenElektra will für ihre Standorte - unabhängig von eventuellen Restlaufzeiten - identische Lagerhallen beantragen.
Für den Standort Lingen ist der Erörterungstermin bereits durchgeführt. Die Bayrische Landesregierung kündigt Wiederstand gegen Zwischenlager auf ihrem Staatsgebiet an. Laut Greenpeace beträgt die Reichweite der beantragten Zwischenlager zwischen 13 Jahren für Stade und 92 Jahre für Brunsbüttel.

2000:

Schleswig-Holsteins Energieminister Möller hält ein gemeinsames Zwischenlager für die drei AKWs Brokdorf, Krümmel und Brunsbüttel für ausreichend.

2000:

Die StahlenschutzVerordung soll novelliert werden: Verschlechterung des Strahlenschutzes, Entlassung großer Mengen radioaktiver Stoffe aus dem Atomgesetz durch Heraufsetzen der Freigrenzen.

2000:

Im AKW Brokdorf dürfen BE eingesetzt werden, deren Uran aus der WAA (WAU) und aus hoch angereichertem Uran aus der Entsorgung russischer Atomwaffen stammt.