Norddeutsche Rundschau, 14.11.2000
Atomkraftgegner formulieren in einem Brief an die
Brokdorfer Geimeindeverteter massive Bedenken
Bauantrag für Zwischenlager gestellt
Die E.ON Kernkraft hat den Bauantrag für das Zwischenlager
am
Kernkraftwerk Brokdorf gestellt - und ruft damit prompt die
Atomkraftgegner auf den Plan. Diese listen jetzt in einem Schreiben
an die
Gemeindevertreter eine Fülle von Bedenken gegen den Bau des
50 Millionen
Mark teuren Depots für bis zu 100 Castor-Behälter auf.
E.ON-Sprecherin
Petra Uhlmann verwies auf das noch offene atomrechtliche Verfahren.
BROKDORF
(v m)
Zu groß, zu unsicher und überhaupt: Ginge es nach den
Atomkraftgegnern, dürfte in Brokdorf kein Zwischenlager für
abgebrannte Brennelemente gebaut werden. "Wir wundern uns schon
ein bisschen über die geplante Kartoffelscheune", macht
Karsten Hinrichsen deutlich, was er von der Qualität des geplanten
Lagerplatzes für 100 Castor-Behälter hält. Als Sprecher
des Arbeitskreises "Stillegen sofort", der Initiative
"Wir schützen die Kinder von Sellafield" und der
Brokdorfer Mahnwache ermuntert er nun die politischen Vertreter
seiner Heimatgemeinde, sich etwas intensiver Gedanken über
das Projekt zu machen. Dort steht das Thema in dieser Woche im Bauausschuss
und voraussichtlich Anfang Dezember in der Gemeindevertretung auf
der Tagesordnung. Dann sollen die Brokdorfer ihr Einvernehmen zu
einem Bauantrag erteilen, den die E.ON Kernkraft als Kraftwerksbetreiber
im Oktober beim Steinburger Bauamt gestellt hat. Parallel zum Bau
der Halle läuft bereits seit Ende 1999 das atomrechtliche Genehmigungsverfahren.
Anlass für den Bau von Zwischenlagern an allen Kernkraftstandorten
ist die Maßgabe, auf den umstrittenen Transport von Castorbehältern
weitestgehend zu verzichten. Für Karsten Hinrichsen ist dies
eigentlich eine untragbare Entscheidung. "Meine Generation
erspart sich die Transporte und die nächste Generation hat
sie dann am Hals." Der Brokdorfer kritisiert in diesem Zusammenhang
insbesondere auch den Schleswig-Holsteinischen Umweltminister Klaus
Müller, der auf eine Nachfrage der Atomkraftgegner bezüglich
Prüfungen der Umweltverträglichkeit solcher Zwischenlager
bislang nicht einmal geantwortet habe.
In einem Brief an alle Mitglieder des Brokdorfer Gemeinderats und
des Bauausschusses geben die Atomkraftgegner den örtlichen
Entscheidungsträgern nun eine Fülle von Bedenken und Argumentationshilfen
an die Hand. Gleichzeitig machen sie auf Beispiele aus anderen Kernkraft-Standorten
aufmerksam.
So habe die Gemeinde Gemmrigheim für den Bereich des KKW Neckarwestheim
eine Veränderungssperre verhängt. Dortige Begründung:
Man brauche Zeit, um eine Gesamtplanung für die Zeit nach dem
Abriss des Kraftwerkes zu erstellen. Die Stadt Geesthacht schließlich,
so Hinrichsen weiter, habe ihre Entscheidung über ein Einvernehmen
erst einmal vertagt, um zunächst Klarheit im Hinblick auf mögliche
schädliche Umwelteinflüsse gewinnen zu können. "Auch
Brokdorf könnte das Thema zurückstellen, bis das Bundesamt
für Strahlenschutz über die Genehmigungsfähigkeit
des Zwischenlagers entschieden hat", warnt Hinrichsen vor eiligen
Entschlüssen.
Für bedenklich hält der Brokdorfer insbesondere die Bauweise
der 93 Meter langen, 27 Meter breiten und 23 Meter hohen Halle,
die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kraftwerk errichtet werden
soll. Nach Hinrichsens Darstellung geben die Castorbehälter
bei ihrer Einlagerung noch Temperaturen von bis zu 80 Grad ab. Ob
der Betonboden dieser Wärme auf Dauer standhalten könne,
hält Hinrichsen für fraglich. Problematisch werde es auch,
wenn sich herausstellen sollte, dass den Castorbehältern noch
radioaktive Stoffe anhaften. Weder für Mitarbeiter noch für
etwaige Emissionen sei Vorsorge getroffen. Der Vollständigkeit
halber fügt Hinrichsen auch noch die möglichen Gefährdungen
durch Korrosion, Erdbeben, Flugzeugabstürze, Hochwasser und
Sabotage hinzu.
Ein besonderer Kritikpunkt ist für Hinrichsen auch die mögliche
Nutzungszeit der Halle. Er befürchtet, dass das Zwischenlager
bis zu 40 Jahre nach der geplanten Abschaltung von Brokdorf (2019)
in Betrieb bleiben wird - vielleicht sogar noch darüber hinaus,
wenn in dieser Zeit kein Endlager bereitgestellt wird.
Bei der E.ON-Kernkraft sieht man das Thema derzeit ganz nüchtern.
Sprecherin Dr. Petra Uhlmann bestätigte, dass der Bauantrag
für die Zwischenlager-Halle inzwischen gestellt wurde. Kritik
an Größe und Zeitrahmen wies sie zurück. Das Lager
sei für eine Laufzeit von 40 Jahren ausgelegt, sagte sie. Es
müsse so dimensioniert sein, dass alle in diesem Zeitraum anfallenden
radioaktiven Stoffe eingelagert werden können - von den derzeit
im Abklingbecken befindlichen Brennstäben bis zum gesamten
Kern, der bei der späteren Abschaltung untergebracht werden
müsse. "Wir können uns keine Wege verbauen",
wies Petra Uhlmann auch daraufhin, dass angesichts zahlreicher Unwägbarkeiten
für den Betreiber die Betriebssicherheit von Brokdorf gewährleistet
bleiben müsse. Vor diesem Hintergrund sei auch eine mögliche
Verlängerung der Brokdorf-Laufzeit über 2019 hinaus berücksichtigt,
was durch die im Energiekonsens verankerte Möglichkeit der
Übertragung von Stromkontingenten möglich wäre. Im
übrigen seien die Anträge für alle Kraftwerke bereits
vor den Festlegungen im - bislang erst paraphierten - Energiekonsens
mit der Bundesregierung erstellt worden. Abschließend sagte
die Sprecherin, dass auch Größe und Ausgestaltung der
Halle Bestandteil der atomrechtlichen Genehmigung seien, die derzeit
aber noch ausstehe. |