Norddeutsche Rundschau

28.01.1999

Gewerkschaft besucht Kraftwerk Brokdorf

Aus "Geplänkel" wird Ernst: ÖTV jetzt pro AKW-Jobs

BROKDRORF

( g ö )

Im Meiler rumort's: Die 372 Mitarbeiter des Atomkraftwerks Brokdorf betrachten die Bonner Konsensgespräche über den Verzicht auf Kernenergie mit gemischten Gefühlen. Sie sehen durch den regierungsamtlichen AKW-Nein-Danke-Kurs ihre Jobs gefährdet.

Nun hat die Gewerkschaft ÖTV Tuchfühlung mit den verunsicherten AKW-Werkern aufgenommen: Gestern besuchten der ÖTV-Bundesbereichsgeschäftsführer Branko Rakidzija und der Steinburger Geschäftsführer Robert von Virag das Kraftwerk an der Elbe, um mit dem Betriebsrat sowie mit dem Betriebsleiter Jörg-Dieter Peters den Stand der Dinge zu erörtern.

Das Verhältnis zwischen Gewerkschaft und der Atom-Branche war seit der 1986er Tschernobyl-Katastrophe eher unterkühlt: Die Gewerkschaft plädierte seither für das Ende der Atomkraft. Die bisherigen Ausstiegsszenarien betrachtet Rakidzija angesichts des aktuellen Bonner Kurses als "Geplänkel". Nun wird's ernst. Nun ist die ÖTV lediglich für einen Ausstieg sein, der an verschiedene Bedingungen geknüpft:

"Ohne zukunftsfähige Arbeitsplätze wird es keinen Konsens in der Energiepolitik geben können", betonte Rakidzija. Die ÖTV verlange auch einen Vertrag zwischen Regierung, Gewerkschaften und Energie-Unternehmen, der alternative Arbeitsplätze den bisherigen AKW-Standorten sichere. Demzufolge muß z.B. der Abriß von Kraftwerken durch die dort Beschäftigten erfolgen, was für lange Zeit viele Jobs sichert.

"Außerdem müssen an den bisherigen Standorten Ersatzkraftwerke entstehen", so Rakidzija, beispielsweise auf der Basis von Sonnenkraft, Kohle oder Gas. Und wo dies nicht möglich sei, sollten Service-Dienste für die Stromverbraucher entstehen. "Wir hoffen auf ein Geschäftsfeld nach dem Zähler." Er räumt ein, daß es damit möglicherweise zu Spannungen mit lokalem Handwerk und Stadtwerken kommen könnte. Doch sieht er das Aufgabenfeld in diesem Bereich zugleich auf starkem Expansionskurs.

Die ÖTV sieht dem abrupten Atomausstieg außerdem skeptisch entgegen, solange alternative Energiequellen nicht ausreichend geklärt sind. Forcierter Einsatz von Kohlekraftwerken steigere die Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids. Und: Der Import von ausländischem Strom begünstigt die dort keinesfalls immer sicheren Atommeiler. Zudem müßten Werk für Werk die "Restlaufzeiten" ermittelt werden. Das noch junge Brokdorfer Werk müsse weniger Befürchtungen als andere haben.

Robert von Virag strebt auf regionaler Ebene energiepolitische Diskussionen mit den Verantwortlichen an, wie sie bereits im vergangenen Jahr geführt worden seien.