taz
"Ein unumkehrbarer Atomausstieg ist demokratisch machbar"
Werden Ausstieg aus der friedlichen Atomenergienutzung über eine
Fristenlösung angeht, läuft Gefahr, daß die Restlaufzeiten
durch eine zukünftige Bundesregierung wieder gekippt werden und das
ist, wie Ulrike Riedel in der Taz vom 28.12.98 zu Recht schrieb aus rechtsstaatlichen
Erwägungen zu respektieren.
Doch wie halten wir es mit dem Sofortausstieg? Als einziges (offen genanntes)
Argument dagegen werden zig Milliarden an Entschädigung genannt (Für
die Bundeswehr geben wir jedes Jahr 50 Milliarden aus): Ernsthaft ? ist
es so schlimm für den Sofortausstieg 40 oder 80 Milliarden zahlen
zu müssen? Laufende Atomkraftwerke stellen eine akute Gefahr für
Leib und Leben dar, oder glauben wir (Ein)Gebildeten immer noch heimlich,
daß die deutsche Ingenieurskunst unfehlbar ist.
Vielleicht waren es russische Radreifen, die den ICE zum Entgleisen brachten?
Wer zahlt nicht zähneknirschend Lösegeld, wenn er/sie mit dem
Tode bedroht wird: und ist froh, mit dem Leben davongekommen zu sein.
Wenn es um die Gesundheit unserer Kinder geht, ist sonst auch nichts zu
teuer. Wer sich mit Restlaufzeiten zufrieden gibt ? das ist angesichts
der SuperGAU?Risikos für mich sonnenklar ? verdrängt die Gefahr,
in der wir schweben.
Ob unser neuer Umweltminister die gleichen Erklärungen abgeben wird,
wie weiland Innenminister Zimmermann, als die Tschernobyl?Wolke uns erreichte,
wenn ein schwerer AKW?Unfall in Biblis oder Stade passiert? Unvorstellbar!
Da Gesetze eine gewisse Form der Beliebigkeit darstellen (ich verweise
z.B. auf das Gerangel um das, was Öko?Steuer genannt wird), gibt
es keinen juristisch unumkehrbaren Atomausstieg. Es gibt nur einen faktischen
Ausstieg. Der ist verfassungsrechtlich zulässig, genauso wie über
Jahrmillionen strahlender Atommüll produziert werden darf, ganz egal
was kommende Generationen davon halten. Unter "unumkehrbar"
verstehe ich: die Reaktordruckbehälter sind, nachdem die Brennelemente
entladen worden sind, zu zerstören. Sollte es neue Mehrheiten geben,
können die beschließen, neue Druckbehälter zu bauen, was
wohl kaum im Wettbewerb mit anderen Energieträgern wirtschaftlich
wäre.
In mir keimt die Befürchtung auf, der Bonner Kulissendonner über
ein Ausstiegsgesetz nur davon ablenken soll, daß sich die neue Bundesregierung
nicht traut, die vielen Möglichkeiten, die das jetzige Atomgesetz
bereits bietet, um zur Stilllegung von AKWs zu kommen, konsequent zu nutzen.
Da fallen einem doch eine ganze Reihe von netten Dingen ein.
Zwei will ich nennen: In § 7 a Atomgesetz ist als Voraussetzung
für den Betrieb von Atomanlagen die Entsorgung des Atommülls
gefordert, die bis heute nicht möglich ist Um so mehr irritiert es,
daß die neue Bundesregierung zwar noch keine Ausstiegsfristen festgesetzt
hat, aber dennoch den AKW?Betreibern einen wasserdichten Entsorgungsvorsorgenachweis
verspricht: jedes AKW soll sein eigenes Zwischenlager für abgebrannte
Brennelemente bekommen, so daß das Entsorgungsproblem für die
nächsten 30 Jahre "gelöst" ist. Oder: Warum wird nicht
die 1 100%ige Versicherung der AKWs gesetzlich festgeschrieben, wie sie
jeder Windmüller abschließen muß. Nicht nur, daß
die AKW?Betreiber auch insoweit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber
regenerativen Energien genießen. Nein, Atomstrom wäre sofort
unwirtschaftlich, weil die horrenden Versicherungsprämien unbezahlbar
wären (ganz abgesehen davon, daß keine Versicherung ein derartiges
Risiko übernehmen würde).
Der Sofortausstieg ist sofort möglich, unumkehrbar. Vielleicht kostet
er Geld. Ich bin bereit zu zahlen: lieber als mit meiner Gesundheit.
Karsten Hinrichsen, Brokdorf-Kläger
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