Basisgemeinde Wulfshagenerhütten:

25 Jahre Gemeinde "im ganzen Leben"

"Daß Christen Gemeinde s i n d, das ist zugleich
ihr politischer Auftrag für die Gesellschaft."

(aus dem Vorwort der Gemeindeordnung der Basisgemeinde)


Inhalt
Vorgeschichte zur Gründung der Basisgemeinde
Gründung der Basisgemeinde 1973
Anfänge der gemeinsamen Arbeit
Wulfshagenerhütten
Berlin
Ukraine


Die Basisgemeinde Wulfshagenerhütten ist mit vielen anderen Christen gewiß, daß Gottes Reich eine Verheißung für diese Erde ist. Sie lebt im Miteinanderteilen und versucht, Arbeit und Leben nach Gottes Willen auszurichten.

Die Frage nach Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen und die ganze Schöpfung hatte die Mitglieder des Anfangs in einer Kirchengemeinde in Kornwestheim bei Stuttgart zusammengeführt. Sie suchten zunächst nach Lösungen für Symptome von Ungerechtigkeit in Staat, Gesellschaft und Welt, wie sie z.B. in der atomaren Bedrohung, in der Armut der Länder der ‘Dritten Welt’ und in der zunehmenden Arbeitslosigkeit in ihrer Stadt sichtbar waren. Teils christlich, teils nicht, teils politisch, teils sozial engagiert waren sie getrieben von der Frage nach Alternativen zur Schaffung eines besseren Lebens für alle Menschen.

Sie erinnerten sich und entdeckten neu, daß in biblischen und bereits gelebten urchristlichen Traditionen (z.B. Apg 2 und 4) ein ganzheitlicher und auf Heilung ausgerichteter Lebenszusammenhang erkennbar ist. Das urchristliche Miteinanderteilen aller Gaben war das (vorweg-) gelebte Modell einer Gesellschaftsform, die Hoffnung machte und viel in Bewegung brachte:

      "Im ‘Kommunismus Christi’ werden wir eingeladen, unseren ganzen Besitz zu teilen, sowohl unsere materiellen Güter, als auch die Güter des Geistes (Vorstellungen, Wissen, natürliche Begabungen, usw.). Wo dies geschieht, werden wir in die gerechte Ökonomie Gottes hineingenommen… Niemand muß Mangel leiden. Eine neue Lebensqualität entsteht." (1)

In vielen biblischen Bildern wird erzählt, daß dieser neue Lebenszusammenhang nicht einfach organisch aus dem alten herauswächst, sondern von Gott ganz neu gestiftet werden muß (Bilder vom Weinberg im AT – z.B. Jes 5,1-7 – oder dem vom Himmel kommenden neuen Jerusalem im NT – z.B. Off 21,2).

Die Mitglieder des Anfangs fanden zunehmend zu der Gewißheit, daß Jesu Ansage vom Nahekommen des Reiches Gottes wahr ist, und "daß der auferstandene und heute wirkende Christus unserer Meinung nach der alleinige Weg zum Reich Gottes und die einzige ‘Methode’ ist".

Seit dem Aufbruch einiger weniger Menschen damals in Kornwestheim, die sich gerufen wußten, der Frage nach Frieden und Gerechtigkeit nachzugehen, sind 25 Jahre vergangen. Die heutige, aus den oben skizzierten Anfängen gewachsene und wachsende Basisgemeinde ist in ihrem Leben auf die Nachfolge Jesu ausgerichtet. Sie versucht, die Bergpredigt Jesu ernst zu nehmen und diese neue Lebensordnung Gottes in all ihren Lebensbereichen sichtbar werden zu lassen.

"Wir wollen nicht etwas Besonderes sein, sondern Gemeinde in unserer Zeit, aber eben Gemeinde im ganzen Leben, nicht nur nach der Arbeit…" (2)

 


Vorgeschichte zur Gründung der Basisgemeinde

Die geschichtlichen Anfänge der Basisgemeinde Wulfshagenerhütten reichen in die Sechziger Jahre zurück. Im Zuge einer Erneuerungsbewegung in der Kirche suchte Gerhard Weber zusammen mit anderen jungen Theologen und Pfarrern in einem theologischen Arbeitskreis in Stuttgart, genannt ‘Rostra Theologica’, nach Formen zur Erneuerung der Kirche. Sie diskutierten Fragen der kirchlichen Praxis und Möglichkeiten einer Kirchenreform. Im Anfang beschäftigte sich der Arbeitskreis mit der Frage ‘Kirche wozu?’ und setzte sich mit unterschiedlichen Kirchenmodellen auseinander. In verschiedenen Arbeitsgruppen ging es um Fragen wie ‘Stellung des Pfarrers in der Gemeinde’, ‘Aktion Selbstbesteuerung’, ‘Taufe’… Die Arbeitsgruppe ‘Gottesdienst’ (‘Festgruppe’) traf sich in Kornwestheim und erkannte, daß nicht der festlich gestimmte Mensch das Fest zum Fest macht, sondern die ‘Liturgie’ die keinen ausschließt, sondern alle, auch die Gescheiterten, mit hereinnimmt und ihre Defizite nennen läßt: Hier wird die Wirklichkeit zum Fest, hier entsteht jenes ‘Mehr’ im Leben.

Aus diesem ‘Vordenken’ und Äußerungen von Unbehagen seitens einiger junger Gottesdienstbesucher in einem Gottesdienstnachgespräch in der Kornwestheimer Kirchengemeinde ist 1970 der sogenannte ‘Gruppengottesdienst’ entstanden. Die jungen Gottesdienstbesucher konnten bis dahin mit ihren wirklichen Lebensfragen in der herkömmlichen Struktur des Gottesdienstes nicht zu Wort kommen. Die Gruppe erkannte: "Die Liebe Gottes zum Menschen muß für jeden Menschen konkret aussagbar und erfahrbar sein." Das Thema des Gottesdienstes sollte die Liebe Gottes zum Menschen sein, das Fest der bedingungslosen Annahme. Unter diesem Anliegen bildete sich eine ökumenische Gruppe von 10 Menschen, die sich auf die Suche nach einem neuen Gottesdienstmodell in diesem Sinne machte.

Das Ergebnis ihrer Suche war, daß Menschen mit den gleichen Fragen und Problemen in Gruppen zusammenkamen (alleinstehende Menschen, ältere Arbeitnehmer, Eltern von Jugendlichen, …). Sie trafen sich zur gemeinsamen Bibellese und Textauslegung und anschließendem Gespräch in der jeweiligen Gruppe.

Als Stadtrat der SPD in Kornwestheim suchte G. Weber von 1971-1980 auch in der Kommunalpolitik den Weg zum friedlichen und gerechten Zusammenleben der Menschen.

Gleichzeitig traf er sich im Rahmen seiner gesamtgemeindlichen Aufgabe im Kornwestheimer Teampfarramt (Kornwestheimer Modell) mit einer zunehmenden Zahl von Menschen verschiedener Konfession. Ihre Grundfrage war, wie der Glaube im Alltag verwirklicht und Gemeinde heute wieder lebendig werden kann.


Gründung der Basisgemeinde 1973

Kornwestheim

Der Weg der Umkehr hin zur ganzen Nachfolge Jesu begann schrittweise. Hierfür gab es 1973 noch drei entscheidende Anstöße:

a) Die Anklage der Christen der ‘Dritten Welt’ bei der Weltmissionskonferenz in Bangkok gegen die Verflechtung der Christen der ‘Ersten Welt’ mit Staat und Wirtschaft. Diese Anklage hat die Gemeindeglieder des Anfangs sehr betroffen gemacht, und sie haben sich gefragt, wie die Kirche von dieser unheilvollen Verquickung loskommen könne.

b) Von einem Besuch des evangelischen Bruderordens Taizé in Frankreich kam G. Weber tief beeindruckt zurück. Er berichtete von der Schlichtheit der Verkündigung dort, die der Orden mit dem Einsatz seines ganzen Lebens gebe und damit eine sehr große Ausstrahlungskraft in die ganze Welt hinein habe.

      "Wenn die Christen einmal anfangen würden zu leben, was Evangelium wirklich ist, was hätte das für eine Kraft. Wenn nur ein paar einmal anfangen würden das zu tun!"

c) Ebenfalls 1973 nahm G. Weber Kontakt zu der Integrierten Gemeinde München auf und fuhr im November mit einigen Mitgliedern der Arbeitsgruppe zu einem Besuch dorthin. "Die IG München ist ein gelebtes Beispiel für die Erneuerung der Kirche…Die gegenseitige Verflechtung des Lebens in allen Bereichen heißt Integration. Es meint die Verbundenheit aller Gemeindeglieder untereinander zum Leib Christi, wie Paulus das Miteinander der Getauften nennt." (Zitat der IG)

Vom Besuch dorthin zurückgekommen, gründete sich Ende 1973 eine feste Gruppe von acht Gemeindegliedern, die beschlossen, ihre Kraft, ihre Gaben, ihre Freizeit und immer mehr auch ihren Besitz einzusetzen, um einen Neuanfang zu wagen. Das war der Anfang der ‘Basisgemeinde Kornwestheim’.

Wohngemeinschaften

Die Vision vom gerechten Zusammenleben nahm konkrete Gestalt an. 1975 entstanden erste Wohngemeinschaften in mehreren Häusern in Kornwestheim und Umgebung, in denen Alte und Junge, ‘Kranke’ und ‘Gesunde’, Alleinstehende, Familien und Kinder zusammen wohnten. Was hier entstand, war der Versuch, Gemeinde zu werden, wie sie im Neuen Testament auf den Spuren Jesu erkennbar ist: Ohne oben und unten, ohne Privateigentum, ohne die Zurückstellung von Frauen und Kindern und ohne die Ausgrenzung von Armen und Schwachen.

      "Die Wohngemeinschaften sind eine der konkretesten Situationen, in denen Glaube und Solidarität möglich und lernbar werden für alle, die guten Willens sind. Hier kann die 'neue Familie' Realität werden – in aller Bruchstückhaftigkeit."

Die Mitglieder jenes Anfangs wollten mit ihrem eigenen Leben feststellen, ob ein Leben in der Art der ersten Christen unter den Bedingungen der heutigen Welt möglich sei. Sie hatten miteinander die Gewißheit, daß das Evangelium, wenn es ganz gelebt wird, auch heute jene Kraft und Dynamik in sich hat, die der Welt aus ihren zunehmenden Sackgassen helfen kann. Sie teilten miteinander den Glauben, daß das Reich Gottes kommen und Gerechtigkeit und Frieden für alle Menschen und die ganze Schöpfung bringen wird.

In dieser Zeit gab es auch schon die monatlich stattfindenden Gemeindesonntage. Sie waren Orte der Gemeinschaft, des Festes und der Verkündigung. Die Gemeinde, groß und klein, alt und jung versammelte sich. Man aß gemeinsam zu Mittag, feierte Gottesdienst, musizierte oder spielte mit den Kindern. Von Anfang an wurden Gäste dazu eingeladen. Es war stets ein theologischer Vortrag von G. Weber mit anschließender Diskussion eingeplant, wobei es ihm immer um den Gegenwartsbezug der biblischen Aussagen ging. Die Gemeindesonntage wurden in den Gemeindehäusern der Kirchengemeinden in Kornwestheim und Umgebung gefeiert. Die Basisgemeinde wählte bewußt die Gemeindehäuser, um ihre Verbundenheit zu den örtlichen Kirchengemeinden zum Ausdruck zu bringen. In diesen Jahren verstand sich die Basisgemeinde noch als Gemeinde in der Amtskirche.


Anfänge der gemeinsamen Arbeit

Im Laufe der Zeit wurde uns klar, daß wir für die arbeitslosen Menschen, die zu uns kamen, Arbeit brauchten. So gingen einige von uns aus ihren Berufen heraus (manche halbtags), und versuchten eine gemeinsame Arbeit aufzubauen. Anfangs gingen wir mit allerlei Hausrat, der durch das Zusammenlegen unserer Haushalte in Wohngemeinschaften überflüssig geworden war, auf Flohmärkte. Dann kauften wir einen alten Ford Transit und machten Kleinumzüge und Haushaltsauflösungen. Alte Möbel wurden aufgearbeitet und in einer gemieteten Scheune billig zum Wiederverkauf angeboten. Auch eine Nähstube entstand, die Änderungs- und Flickarbeiten machte.

Begegnung mit dem Bruderhof

Im Herbst 1980 besuchten uns drei Brüder der Bruderhofgemeinschaft aus England und USA. Nachdem wir uns in den früheren Jahren intensiv mit den historischen Hutterern befaßt hatten (Geschichte und Theologie), begegneten wir in ihnen zum ersten Mal drei Mitgliedern einer heutigen Täufergemeinde und entdeckten, daß uns Wesentliches mit ihnen verband (Gütergemeinschaft, Gewaltfreiheit). Das lebendige Zeugnis ihrer Ganzhingabe und nicht zuletzt der Weg der Bergpredigt, der sie zu einem Leben in völliger Gemeinschaft führte, hat die Basisgemeinde auf ihrem Weg sehr bewegt.

Suche nach einem gemeinsamen Ort

1982 wurde uns deutlich, daß jetzt ein neuer Schritt anstand: Das ganze Heraustreten aus den bisherigen Berufen, Häusern und Sicherheiten in die Verbindlichkeit eines neuen Lebenszusammenhangs. Wir hatten uns entschieden, uns mit unserem ganzen Leben und Vermögen der Schaffung von Lebensgrundlagen zu widmen, die die Einladung Jesu, zu IHM, zur Gemeinde zu kommen, möglich macht: "Kommt zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, denn ich will euch erquicken." (Mt 11,28) Es sollte ein Ort gefunden werden, wo wir alle gemeinsam wohnen, leben und arbeiten konnten. Alle, die diese neue Verbindlichkeit an einem neuen Ort leben wollten, kündigten nacheinander ihre Arbeitsstellen.

Das Neue begann damit, daß 15 Erwachsene und 8 Kinder der Basisgemeinde von Kornwestheim nach Wulfshagenerhütten in Schleswig-Holstein im Januar 1983 umzogen, wo die Gebäude eines ehemaligen Kinderheims erworben wurden.


Wulfshagenerhütten

Der neue Lebenszusammenhang, den es nun zu gestalten galt, sollte unserem Grundauftrag dienen: eine gemeinsame Arbeit aufzubauen und alle Menschen, die mit uns das Leben teilen wollten, herzlich willkommen zu heißen.

Durch die Geschichte des Gemeindeaufbaus in Kornwestheim waren uns die wichtigsten Wesensmerkmale des Zusammenlebens als Gemeinde vertraut. Dazu gehörten ein gemeinsamer Tageslauf, das Leben in Geschwisterlichkeit, das Gestalten überschaubarer Wohngruppen, die gemeinsame Kindererziehung, ein gemeinsames Wirtschaften in völliger Gütergemeinschaft und das Miteinanderarbeiten in Küche, Büro, Hausmeisterei usw.

In den sonntäglichen Gottesdiensten, den morgendlichen Andachten und den Abendgebeten wollten wir uns täglich neu im Glauben auf den Willen Gottes für unser Leben ausrichten.

Uns Gedanken zu machen, ob wir uns am richtigen Ort befänden, war völlig überflüssig, denn schon bald kamen suchende Menschen verschiedenster Herkunft, um das Leben mit uns an dem kleinen Ort im hohen Norden für kürzere oder längere Zeit zu teilen. Die Gemeinde wuchs. Ende 1985 waren wir bereits über 50 Menschen – Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Heute leben in Wulfshagenerhütten ca. 70 Menschen.

In all den Jahren begleitete uns die Hoffnung auf Gottes neue Welt, wie sie in dem folgenden Lied zum Ausdruck gebracht wird:

      "Wir erwarten einen neuen Himmel, wir erwarten eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt." (nach Jes 65,17)

Die Jesajavorstellung von "einem neuen Himmel und einer neuen Erde" als Vision unseres Anfangs weist uns bis heute Richtung und Ziel unseres gemeinsamen Weges, unserer Arbeit, unserer Feste, unserer Hoffnungen. In diesem Sinne galt es ab 1983 die gemeinsame Arbeit aufzubauen. Aus der Region erhielten wir den Hinweis, daß wir doch gutes Holzspielzeug herstellen sollten. In der Zeit unserer ersten Versuche in Produktion und Verkauf schickte uns Gott Hilfe: Die Bruderhöfe boten uns den Verkauf ihrer Produkte – Holzspielzeug und Behindertengeräte – zum Vertrieb in ganz Deutschland an. Mit ihrer Hilfe konnten wir damit in den darauffolgenden Jahren ein Kundennetz aufbauen. Sowohl in entsprechenden Einrichtungen, als auch auf Fortbildungsveranstaltungen und Fachmessen führten wir unser eigenes Spielzeug zusammen mit den Geräten vom Bruderhof vor. Von unschätzbarem Wert war und ist es für uns bis heute, daß wir ab 1984 durch die regelmäßig im ganzen Bundesgebiet stattfindenden Verkaufsfahrten mit vielen Menschen in Kontakt kommen und bleiben konnten: Begegnungen in den Kindergärten, auf Fachmessen, bei den Übernachtungen bei anderen Gemeinschaften, Freunden und Verwandten.

Auch in der näheren Umgebung entstanden Kontakte und vertieften sich in den folgenden Jahren. Eine der vielen Nachbarschaftsbeziehungen, die in den Jahren gewachsen sind, ist die Zusammenarbeit mit einem biologisch anbauenden Landwirt des Nachbardorfes. Völlig ohne Geld und auf gegenseitiges Vertrauen gegründet arbeiten wir auf seinen Feldern mit und erhalten soviel vom Ertrag der Ernte, wie wir brauchen.

Der April 1986 brachte eine wichtige neue Zeitansage im Leben unserer Gemeinde. In diesem Monat erhielten wir Besuch von Elsa aus einer katholischen Basisgemeinde der Hauptstadt El Salvadors. Ihr Bericht vom Leiden und von der Hoffnung ihres Volkes ging uns sehr zu Herzen. Nur wenige Tage später geschah das Atomreaktor-Desaster in Tschernobyl. Diese beiden Ereignisse führten uns einmütig zu der Erkenntnis, daß es nun an der Zeit sei für ein verstärktes politisches Engagement. Seitdem beteiligen wir uns an dem gewaltlosen Widerstand gegen das Atomkraftwerk Brokdorf jeden 6. des Monats mit Freunden aus Hamburg und Schleswig-Holstein. In einer ebenfalls nach Tschernobyl entstandenen Bürgergruppe der Umgebung setzen wir uns zusammen mit anderen Bürgern für einen schöpfungsgemäßen Umgang mit Energie im privaten und kommunalen Bereich ein.

Mit den Jahren vermehrten sich die Kontakte zu verschiedenen Gemeinschaften und Institutionen – so erweiterte sich unser Horizont für die weltweite Kirche Jesu. Durch die Mitgliedschaft bei ‘Church and Peace’ lernten wir außer den Bruderhöfen auch noch Vertreter anderer historischer Friedenskirchen kennen. Zu der Basisgemeinde Zacamil und anderen Gemeinschaften in El Salvador sind durch gegenseitige Besuche verbindliche tiefe Beziehungen entstanden, die uns gegenseitig herausfordern und stärken.

Nach Jahren des inneren und äußeren Wachstums gab es ab 1989 einige tiefgreifende Ereignisse. Ende 1989 haben die Bruderhöfe begonnen, auf dem Gelände des Michaelshof bei Altenkirchen erstmals seit ihrer Vertreibung als christliche Lebensgemeinschaft 1937 im Hiltler-Regime einen deutschen Bruderhof aufzubauen. Daraufhin gaben wir die Generalvertretung ihres Spielzeugs an sie zurück. Dies war für uns der Anstoß, unsere eigene Holzwerkstatt in erheblichem Maße auszubauen, um auch weiterhin von unserer eigenen Hände Arbeit leben zu können. Die Zeit der Planung, Finanzierung und Durchführung des Werkstattausbaus brachte für die Gemeinde viele Schwierigkeiten mit sich. So haben uns z.B. etliche tragende Mitglieder in dieser Zeit verlassen. So mußten wir erneut die totale Abhängigkeit von Gott erkennen. Nach 7 Jahren, in denen wir viel Hilfe bekamen, ist der Bau nun fertiggestellt. Es ist ein schöner Bau geworden, wo viele Menschen Arbeit finden können: gleichermaßen junge und ältere, leistungsschwache und leistungsstarke Menschen. Für sie alle gibt es Arbeit.

Im Lauf des Sommers 1990 erhielten wir den Ruf, eine Gemeinschaft in Ostberlin mitzugründen. Zusammen mit einem jungen Ehepaar zogen G. Weber und seine Frau in ein besetztes Haus auf dem Prenzlauer Berg. Inmitten eines sozialen Brennpunktes versucht die Gemeinde dort, ein gewaltfreies Zeichen der Hoffnung zu leben und sich an der Seite der Menschen im Stadtteil für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen.

Am 25.5.1994 verstarb Gerhard Weber im Alter von 56 Jahren. Sein Tod hinterließ in der Basisgemeinde eine tiefe Lücke. Die Vision "eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt" zu schauen und zu glauben, war uns nun ganz allein überlassen. Auf dem Weg dorthin wurde es für uns zu einer unausweichlichen existentiellen Herausforderung, das ‘Priestertum aller Gläubigen’ wirklich zu leben.

Im Sommer 1996 sandten wir eine Familie nach Kosowa in der Ukraine aus, die den Ruf erhalten hatte, dort mit einer ukrainischen Familie Gemeinde zu bauen.

Mit den beiden Gemeinschaften in Berlin und Kosowa hat Gott den Raum seines Zeltes weiter gespannt.


Berlin

Als wir 1990 im Prenzlauer Berg begannen, fingen wir sozusagen mit leeren Händen an. Wir hatten keine Pläne, kein Konzept, keine Theorien, mit denen eine Gemeinde in einem Ostberliner Innenstadtbezirk hätte aufgebaut werden können. Durch das Leben und Teilen des Alltags mit den Menschen in unserem Haus und in unserem Stadtteil zeigte uns Gott jedoch sehr bald, welchen Auftrag er uns hier zugedacht hatte. Der Einbruch des westlichen Wirtschaftssystems in die gewachsenen Strukturen dieses Stadtteils traf die Menschen hier besonders hart. Hohe Mietsteigerungen, die Privatisierung der Häuser und der Verlust des Arbeitsplatzes ließen viele Menschen resignieren.

Bis 1996 lebten wir mit ca. 80 Mitbewohnern in einem besetzten Haus in der Dunckerstr.14. Es war das größte unter den übrigen ca. 40 besetzten Häusern im Prenzlauer Berg. Wegen der besonderen Wohn- und Lebenssituation war unser Haus den Machtinteressen des hereinbrechenden Kapitals unmittelbar ausgesetzt. So erlebten wir 7 Brandanschläge in unserem Haus, einige davon waren für uns lebensbedrohlich. Das gesamte Haus sollte auf diese Weise leergezogen werden – ‘Heiße Räumung’ nannte man das. In jener Zeit erlebten auch ganz ‘normale’ Hausgemeinschaften im Stadtteil Bedrohung und Vertreibung ähnlicher Art.

Tiefes Erschrecken erfaßte alle, die wir hier wohnten, ein Erschrecken, das letztendlich aber viele wachrüttelte und aus Lethargie und Orientierungslosigkeit herausholte: Nachbarn nahmen sich neu wahr, schlossen sich zusammen, solidarisierten sich. Kiezversammlungen in nahegelegenen öffentlichen Räumen fanden statt, Kirchengemeinden stellten dafür ihre Gemeindehäuser zur Verfügung, Straßenfeste wurden organisiert, es entstand eine Stadtteilzeitung.

1992-93 haben wir im Erdgeschoß unseres Hauses leerstehende Räume zu einem Nachbarschaftszentrum ausgebaut. Dieses Zentrum, ‘Kiezladen ZUSAMMENHALT’ genannt, ist real gewordener Ausdruck für die Vision von Solidarität, gewaltlosem Widerstand und Lebensfreude – so entsteht Hoffnung, die nach unserem Glauben der Feind des Bösen ist. So haben wir dort auch eine stadtteilbezogene Kinderbetreuung begonnen, in der wir seit 1993 die Kinder unserer Gemeinschaft zusammen mit anderen Kindern aus der Nachbarschaft betreuen. Ebenso vom Kiezladen ausgehend gründeten wir zusammen mit anderen 1995 ein Architektur- und Bauplanungsbüro, in dem Menschen für längere oder kürzere Zeit arbeiten können. Auch sonst finden im Kiezladen Menschen, die uns immer wieder nach Arbeit fragen, kleinere Arbeitsaufträge. Unsere eigene Arbeit ist von Anfang an der Vertrieb des Holzspielzeugs aus Wulfshagenerhütten, den wir schwerpunktmäßig in Berlin und in den Neuen Bundesländern tätigen.

Inmitten all unserer Aktivitäten, all unserer Engagements, sind wir existentiell auf Stille und Gebet angewiesen. Im täglichen gemeinsamen Morgengebet lesen wir biblische Texte, besprechen unseren Tag und versuchen, Gottes Absicht für unser Tun und Lassen zu entdecken. Zu einem offenen Friedensgebet treffen wir uns auch dreimal in der Woche in der Gethsemanekirche, wo wir zusammen mit anderen für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt und ganz konkret in unserem Stadtteil beten.

Nachdem wir wegen der Sanierung der Dunckerstr.14 zwei Jahre in einer Nachbarstrasse gewohnt haben, sind wir nun zurückgezogen. Wir leben jetzt mit 10 Erwachsenen und 8 Kindern in der Basisgemeinde Prenzlauer Berg. Unser Leben ist eine tägliche Herausforderung, und Chance zugleich, für Gottes neue Welt einzutreten. Die bewußte Entscheidung für die Nachfolge Jesu setzt genügend Kraft frei, inmitten der Großstadt Berlin zu leben – wo Ost und West, Kapitalismus und zerbrochener Sozialismus, wo Reichtum und Armut, Zerstörung und Schönheit so nah beieinander liegen.


Ukraine

Im Jahre 1992 fuhr die Basisgemeinde mit ihrer Kindertheatergruppe in die Ukraine, nach Kosowa in Ostgalizien. Die Leiterin der dortigen Kindertheatergruppe, Ludmila W. Kulka, hatte sie eingeladen. Bei einem Gegenbesuch der Familie Kulka 1993 in Deutschland wurde aus der anfänglichen Freundschaft eine feste Verbindung mit der Basisgemeinde.

Ludmila erzählt:

      "Unser erster Eindruck war: das Leben in der Gemeinde ist wunderbar, weil hier Liebe regiert, Verständnis füreinander, Friede. Das Leben mit Jesus ist leicht und glücklich, weil es ein Leben in Liebe ist. So lebt die Gemeinde in Wulfshagenerhütten. Und auch für unsere kleine Gemeinschaft hier in der Ukraine ist der Glaube an unseren Herrn Jesus Christus das Wichtigste.

      Ukraine – das ist ein wunderbares Land, in dem gute, arbeitsame aber leider sehr arme Menschen leben. Kann man in Deutschland verstehen, daß die Menschen schon seit Jahren zur Arbeit gehen, ohne Lohn zu erhalten? Daß Menschen sterben, weil kein Geld für Medikamente da ist? Wie es ist, ständig der Willkür der Mächtigen und der Behörden ausgesetzt zu sein? Wie es ist, schon seit Jahren in die Verelendung zu geraten, ohne Perspektive?"

Die Anweisung Jesu, daß wir uns um die Verwirklichung seines Reiches sorgen sollen und nicht zuerst um das eigene Leben und Wohlbefinden (z.B. Lk12,22ff), heißt für uns, solidarische Gemeinschaft zu bilden, um in Frieden und Gerechtigkeit miteinander zu leben und zu teilen.

So folgte Ende 1995 Familie P. aus der Basisgemeinde dem Ruf in die Ukraine. Zunächst fuhr der Vater mit einem Sohn, im Sommer 1996 kam die Ehefrau mit zwei Töchtern nach. Sie bezogen ein kleines Häuschen in einem Dorf bei Kosowa.

Familie P. berichtet:

"Gemeinsam mit unseren ukrainischen Geschwistern wollten wir das Leben teilen und Gemeinde leben. Die Menschen dort nahmen uns sehr freundlich auf und brachten uns viel Vertrauen entgegen. Für uns war es ein Eintauchen in eine völlig andere Welt, andere Kultur… Langsam begannen wir, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge wahrzunehmen und Ursachen für die Not und die Armut zu erkennen.

Um im Land bleiben zu können, mußten wir eine Firma gründen. So suchten wir nach einer Arbeit für uns und die Bewohner im Dorf. Bedarf ist auf allen Gebieten da, aber die Menschen haben kein Geld.

So begannen wir als Einstieg mit einem Auftrag von den Geschwistern der Basisgemeinde in Wulfshagenerhütten, für die Spielzeugproduktion Stoffe zu verarbeiten. Diese Arbeit reichte nur für zwei Frauen – dann bekamen wir Nähaufträge aus Süddeutschland und konnten nun mit 12 Frauen aus unserer Gegend die Näherei im Dorf nutzen. Leider mußten wir nach einem Jahr die Produktion wieder einstellen, da der deutsche Auftraggeber sein Geschäft umstellte. Seitdem sind die Frauen wieder ohne Arbeit. Unsere Suche nach neuen Aufträgen ist geprägt von der Frage nach dem Willen Gottes in dieser Sache.

Parallel zur Näherei begannen wir, eine Zahnarztpraxis aufzubauen. Vorsorge und Zahnpflege sind unbekannt. Eine befreundete deutsche Ärztin hilft uns mit Rat und Tat. Sie besorgte uns kostenlos die Grundeinrichtung und schenkt uns immer wieder Verbrauchsmaterial. Ein junger Zahnarzt, der in Deutschland bei der befreundeten Ärztin hospitierte, verrichtet seine Arbeit mit großer Sorgfalt. Zur technischen Installation der Praxis kam noch ein Gemeindeglied aus Wulfshagenerhütten zu uns. Jetzt gehört er ganz zur Gemeinde. Die Transportfahrten zwischen Deutschland und der Ukraine ermöglichen uns eine enge Verbindung mit den Gemeinden in Wulfshagenerhütten und Berlin."

Nochmals Ludmila:

      "Die Familie P. kam in die Ukraine, um dort zu leben und mit den Menschen zusammen zu sein. Es war der Anfang unserer kleinen Gemeinde – mit ganz vielen Fragen: Freikirche und Orthodoxie – geht das – hier in der Ukraine? Zur Zeit sind viele Missionare aus Amerika und anderen Ländern in der Ukraine. Die haben sehr viel Geld, mieten schöne Säle und treten im Fernsehen auf.

      In unsrer Gemeinde ist das ganz anders! Es herrscht Verständnis füreinander und Respekt vor der anderen Mentalität und Religionsform.

Wir sind vereint im Glauben an Jesus Christus, beten gemeinsam, singen, arbeiten, helfen den Menschen – das ist das Wichtigste und Wesentliche unserer kleinen Gemeinde!"

In den Gemeinden Jesu soll die neue Lebensordnung des Reiches Gottes vorweg gelebt werden. Dazu lädt Jesus alle Menschen in seiner Bergpredigt ein:

Selig sind, die da geistlich arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.

Willkommen alle, die geistlich arm sind und an sich selbst gescheitert sind
und die sich und den Menschen nichts mehr vormachen wollen und können,
die nichts mehr vorzuzeigen haben, als ihre leeren Hände,
denn gerade sie haben Wohnrecht in Gottes neuer Welt.

Selig sind, die da hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.

Willkommen alle, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit,
die brennend darauf hoffen, daß a l l e Menschen und die g a n z e Welt
unter Gottes guten Herrschaftsbereich kommen, und an seiner neuen Lebensform teilhaben,
die sich nicht abfinden mit dem, was sich Menschen selber oder der Schöpfung Gottes antun,
die Gottes gelungenen Anfang in Jesus Christus und all seine guten Anfänge heute sehen,
denn ihr Hunger soll gestillt werden.

Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.

Willkommen alle, die Frieden stiften,
die Gottes neue Lebensordnung mitbauen und sich dafür verbrauchen,
die das Böse bekämpfen, aber die Sünder lieben,
die an Gottes Zukunft für diese Welt glauben, weil sie jetzt schon begonnen hat,
denn sie sind diejenigen, die Gott am nächsten stehen.

(Auszug aus den Seligpreisungen Jesu in der Bergpredigt /
Mt 5 nach einer Übertragung von G. Weber)

(1) Zitat von Gerhard Weber, Mitbegründer und theologischer Lehrer der Basisgemeinde *1937 - †1994

(2) Dieses und alle folgenden Zitate stammen aus Schriften der Basisgemeinde von 1973 - 1992.

Basisgemeinde Wulfshagenerhütten

Zum Wohld 4, 24214 Gettorf, Tel.: 04346/5044