6 . August 2000

Von dem Abwurf der Bombe 1945 über Hiroshima erzählte uns Frau Suzuko Numata am 3.Juli in Kiel. Voll Spannung und Betroffenheit hörten wir, einige Mitglieder der Mahnwachengruppe, zusammen mit einigen hundert SchülerInnen des Humbold-Gymnasiums der Erzählung zu. Diese Frau, gezeichnet durch das Erleben des Bombenabwurfs, geprägt von Leiden und Krankheit, beeindruckte uns durch ihre Haltung, die von tiefem Frieden und Vergebung geprägt war.


Ich wurde am 3.7.23 geboren. Wir waren eine glückliche Familie; meine zwei Brüder, meine jüngere Schwester und ich. Nicht im Traum dachte ich daran, daß Japan einmal Krieg führen sollte.

Am 7.7.37 begann der Krieg. Wir mußten die Schule beeenden und wurden dazu gebracht, als Militaristenmädchen zu arbeiten. Noch hatten wir keine Ahnung, was uns widerfahren sollte. 1942 begann ich zusammen mit meinem Vater und meiner Schwester in einem Rüstungsbetrieb zu arbeiten, ca.1 km von dem späteren Einschlagpunkt der Bombe entfernt

1943 verlobte ich mich. Ich war hocherfreut. Aber 1944 zog mein Verlobter in den Krieg. Da er aus einem anderen Gebiet stammte, kam er für eine Nacht zu uns. Ich verabschiedete mich von ihm, ohne ihm die Hand zu geben. Doch in meinem Herzen schrie es."Komm zurück ohne zu sterben."

1945 begann der Kampf um Okinawa. Amerikanische Bomber tauchten auf und richteten Schreckliches an. Wir wunderten uns, warum Hiroshima nicht bombadiert wurde. Ich erfuhr, daß mein Verlobter für drei Tage Urlaub von der Front bekam. Meine Eltern sagten, daß wir während dieser Tage heiraten sollten. Bis zum Morgen des 6. August war ich darüber voller Freude.

Ab Juni begannen oft die Sirenen zu heulen. Viele Bomber waren am Himmel. Diese Angriffe gingen immer vorüber, ohne daß etwas geschah. So dachten wir, daß sie uns nur täuschen wollten. Daß mein Verlobter bereits im Juli gefallen war, wußte ich nicht.

Der erste, zweite, dritte, vierte August gingen vorüber, ohne daß etwas passierte. Doch waren wir besorgt über die Flugzeuge am Himmel.

Auch am Morgen des 5. August war alles ganz ruhig. Es war ein friedlicher Morgen. Nachmittags begannen die Sirenen zu heulen. Doch es geschah nichts. Abends waren wir erleichtert: "wie gut, daß heute wieder nichts passiert, ist." Wir räumten das Büro auf und verabschiedeten uns auf höflichere Weise als sonst." Vielen Dank für die Zusammenarbeit. Dann kommen wir morgen wieder ausgeruht und werden uns anlächeln." Abends waren wir in der Familie zusammen. Es war heiß und wir waren müde und legten uns nieder. Nach Mitternacht gab es wieder eine Flugwarnung, die nach einigen Stunden aufgehoben wurde Inzwischen war ich aus lauter Müdigkeit eingeschlafen.

Am Morgen des 6 August - einem schönen Morgen mit blauem, wolkenlosen Himmel ging ich voll Freude an die Arbeit, freute mich auf die baldige Hochzeit. Ich beeilte mich, ins Dachgeschoß meiner Arbeitsstelle zu kommen. Ich war allein, draußen auf dem Dach machten die jungen Männer mit nacktem Oberkörper Gymnastik. Ich begann die Zimmer zu putzen. Zu diesem Zeitpunkt war das Flugzeug mit der Atombombe schon am Himmel. Ich ging in den 3. Stock um mein Putzzeug zu reinigen.

Plötzlich ein schönes, grelles Licht - rot-gelb-blau-orange Ich hörte keine Explosion. Dieses Licht trat auf, als die Bombe explodierte. Ich wußte nicht, daß dies Ausdruck der Hitzestrahlen war, die 2 bis 4Tausend Grad erreichten. Ich wußte nicht, daß die Druckwellen mit 380m/Sek. auf unser Gebäude trafen. Eine Druckwelle erfaßte mich und schleuderte mich weg. Ich wurde unter Trümmer begraben. Dabei wurde der linke Fußknöchel durchtrennt, dann wurde ich bewußtlos. So wurde ich gefunden und vom 3. in den 2. Stock getragen. Da ging der 3. Stock in Flammen auf. Noch rechtzeitig, bevor das ganze Haus brannte, wurde ich aus dem Haus getragen und zusammen mit vielen anderen Verletzten auf einen Sportplatz gelegt. Hätte mich niemand gefunden, wäre ich in den Flammen verbrannt. Mein Vater suchte voller Verzweiflung nach meiner Schwester und mir. Er fand uns. Er holte eine Matte, auf die ich gelegt wurde. So wurde ich abtransportiert. Rings um mich hörte ich Schreie nach Hilfe, nach Wasser, nach der Mutter. Häuser und Bäume brannten. Rote Flammen sah ich, die umherliefen, das waren Menschen.

Ein Unbekannter hatte meine Blutung gestillt. Ich traf wieder auf meine Schwester. Sie war voller Glassplitter und blutete. Überall hatten sich ihre Haare aufgerichtet. Erst als meine Schwester mich ansprach, erkannte ich sie. Jetzt setzte Regen ein. Der schwarze, radioaktive Regen

Bei mir begann das Bein zu faulen; langsam ging ich dem Tod entgegen. Am 9.August kamen Ärzte nach Hiroshima. Sie untersuchten mich bei Kerzenlicht, schätzten, daß ich überleben könnte, wenn das Bein amputiert würde. Ich soll geschrien haben: "nicht schneiden, sonst kann ich nicht mehr heiraten, nicht mehr arbeiten." Die Todkranken und Sterbenden um mich redeten mir zu, mich operieren zu lassen.

Am 10.August wurde ich ohne Medikamente und Narkose operiert. Mit einer großen Säge wurde mir das Bein am Oberschenkel amputiert. Ich wurde in ein provisorisches Krankenlager gebracht. In diesem lag ich - unter entsetzlichen Bedingungen - 1 1/2 Jahre, viermal noch wurde ich am Bein operiert. 1947 wurde ich nach Hause entlassen. Ich kehrte in eine Stadt zurück, die nicht mehr war. Erfuhr, daß mein Verlobter gefallen war und der Krieg verloren. Meine Familie war in großer Not, mein Bruder hatte starke Verbrennungen, meiner jüngeren Schwester wurden immer noch Glassplitter entfernt. Alle glaubten wir dem Gerücht, daß Hiroshima in eine Wüste verwandelt würde; daß siebzig Jahre kein Baum, kein Gras mehr wachsen würde.

In mir war nur der Gedanke, daß mir alles genommen war. Das erfüllte mich mit großer Bitterkeit und mit Hass und Selbstmordgedanken. Ich hatte kein Auge für das Leid der anderen, auch nicht für das Leid meiner Familie. Doch diese kümmerte sich liebevoll um mich. Auch Gespräche mit anderen Opfern halfen mir, mich nicht aufzugeben.

Mein Vater ermunterte mich: "Nimm deine Krücken und übe; gehe umher und sitze nicht nur herum." Voller Wut, daß er so etwas sagen konnte, ging ich weg. Ich kam schließlich zu einem Baum in der Nähe meiner ehemaligen Arbeitsstätte, der uns oft Schatten gespendet hatte. Voll Unwillen sah ich den einstmals prächtigen Baum, der jetzt stark verkohlt war. Als ich einige Tage später wieder kam, sprossen einige Äste aus dem verkohlten Baum. Dies berührte mich tief, endlich besann ich mich. Wie sehr mußte sich dieser Baum gesehnt haben, weglaufen zu können. Dann sah ich auf mein rechtes Bein. Dies war gesund geblieben. So erschien es mir, als ob der Baum sagen wollte: Du darfst nicht Selbstmord begehen. Ich faßte wieder Mut zum Leben.

So dachte ich, dieses rechte Sein ist mir geblieben, daß ich sprechen und tun kann, was all die Toten nicht mehr tun können: Herumzureisen, zu berichten was wirklich geschehen ist und die Saat des Friedens zu verbreiten.