Heinz-Peter Popp
Friedhofsallee 24
24782 Büdelsdorf, d. 5.7.98


Liebe Mitarbeiter im Kernkraftwerk Brokdorf,

Sie haben sicher den Prozeß vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht in Schleswig Mitte Juni dieses Jahres verfolgt. Die Klage des Brokdorfer Metereologen Karsten Hinrichsen wurde abgewiesen. Wie mag Sie dieses Urteil berührt haben? Waren Sie froh, daß Ihr Arbeitsplatz jetzt weiterhin gesichert erscheint? Haben Sie dabei an die finanzielle Sicherheit Ihrer Familie gedacht? Oder hat Sie das Urteil darin bestärkt, daß Kernenergie eine verantwortbare Technologie ist? Oder hatten Sie nach diesem Urteil doch einen kleinen Schrecken empfunden, daß es nun alles weitergeht, wie bisher, daß Ihnen kein äußerer Zwang geschenkt wurde, diesem gefährlichen Arbeitsplatz fernbleiben zu können?

Mich hat dieser Prozeß sehr bewegt. Ich möchte Ihnen davon erzählen.

1. Auf der einen Seite stand der Kläger K.Hinrichsen mit seinem Rechtsbeistand, auf der anderen Seite dieser zwei Personen gegenüber saßen 16 (sechzehn!) Personen - das waren einmal die Vertreter der Landesregierung gegen die sich die Klage richtet, zum anderen die Vertreter der Brokdorf GmbH, der der Siemens AG - Sie alle hatten ihre Rechtsbeistände und Fachleute mitgebracht.
Welch ein Verhältnis - auf der einen Seite die Klägergruppe, die sich mit all den schwierigen Fragen auseinandersetzen mußte, auf der anderen Seite Spezialisten für jedes einzelne rechtliche oder technische Problem.
Ging es z.B. um Oxydbeschichtungen gewisser Rohre, so brachte Herr Hinrichsen seine Klage vor, die Gegenseite hatte dafür gleich mehrer Spezialisten dabei. Ging es um die schwierige Frage der mechanischen Sicherheit und Belastbarkeit von Druckventilen, so konnten Vertreter des TÜV darüber Auskunft geben, desgleichen die Techniker der Kernkraftwerke.

Mir wurde deutlich, wie schwach der einzelne Bürger gegen diesen geballten Sachverstand ist. Es war keine Gleichheit da. Wenn man bedenkt, wieviel Macht hinter diesen Industriegiganten steht, wieviel Kapital, mit dem technisches und rechtliches Wissen gekauft werden kann - und auf der Gegenseite steht 1 Bürger.

2. Etwas anderes war noch zutiefst merkwürdig. Da saßen die Vertreter der beklagten Landesregierung. Wir alle wissen, daß diese Landesregierung gemeinsam mit dem Grünen Bündnispartner gegen die Kernenergie und für die Abschaltung der Kernkraftwerke dieses Landes ist. Sie meinen (wie auch ich), daß diese Technik nicht verantwortet werden kann. Es bot sich nun das erstaunliche Schauspiel, daß eben diese Landesregierung in der Verhandlung beweisen mußte, wie ungefährlich Kernenergie ist, daß alles zum besten hergerichtet wurde, daß es im Grunde keine besondere Gefährdung gibt,denn alle Vorschriften wurden eingehalten, es wurde bestes Material verwandt, es war alles einwandfrei. Freudig wurde die Landesregierung von den Vertretern der Atomwirtschaft darin unterstützt. Es wirkte auf mich wie ein gemeinsamer Schulterschluß. Sie reichten sich die Hände zum Bunde. Dieses hat mich zutiefst berührt. Von dieser Landesregierung ist nicht zu erwarten, daß Ihr Arbeitsplatz vernichtet wird.
3.

Und dann die Begründung des Urteils! Herr Hinrichsen hätte gegen alle Teilgenehmigungen klagen müssen, nicht nur gegen die Dauerbetriebsgenehmigung. Das kann ein einzelner Bürger nicht leisten. Es ist offenbar, daß dem betroffenen Bürger nur formal das Recht zusteht, Klage zu erheben. Tatsächlich kann er diesen riesigen zeitlichen Aufwand nicht leisten, und wer kann schon die ca. 24 000 DM aufbringen, die Herr Hinrichsen als Verlierer dieser Zivilklage zahlen muß? Der Unterstützungsfonds ist sicher zu klein dafür.

Können Sie sich darüber freuen, daß der Gegner Ihres Arbeitsplatzes den Prozeß verloren hat? Oder spüren nicht auch Sie die Bedrohung, die davon ausgehen, daß der einzelne klagende Bürger in seiner Schwäche vorgeführt wurde? Wie wäre es, wenn Sie, der Sie diesen Text lesen, sich bedroht fühlten von unserem Staat und wüßten, daß Sie keine wirkliche Chance hätten gegen eine Situation, in der sich Staat, Rechtsprechung und Industrie gegenseitig stützen?

In der Bibel gibt es einen Bericht über den Prozeß, der die Weisheit des jüdischen Königs Salomon zeigen soll. Es geht darum, wem das Kind, um das sich zwei Frauen streiten, zugesprochen werden soll. Salomon spricht jeder Frau das halbe Kind zu. Da verzichtet eine der Frauen: Das Kind solle leben, sie wolle ihr Recht nicht. Da weiß Salomon, wer die rechte Mutter ist, und er spricht ihr das Kind zu. Ja, so sprach der weise Salomon. Dem wurde Recht gegeben, der das Leben schützen wollte, es ging ihm nicht darum, formal Recht zu sprechen. Grundlage für sein Urteil war Erhalt des Lebendigen, die Heiligkeit des Lebens. Ja, so weise war der König Salomon. In Schleswig gab es keinen Salomon, dort saßen, so schien es mir, u.a. drei beamtete Urteilsprecher, die, so empfand ich es, für das Gesetz, aber gegen das höhere Recht des Lebens urteilten. Ich danke Ihnen, daß Sie meinen Gedanken bis hierher gefolgt sind.

Mit freundlichen Grüßen

Heinz-Peter Popp