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April 2008

Ein Grundsatzurteil stärkt Atomkraftgegner

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat die Rechte von Nachbarn atomarer Anlagen deutlich gestärkt. Das geht aus einem aktuellen Urteil vom 10. April 2008 hervor. Danach können Nachbarn von Atomkraftwerken auch zum Schutz vor terroristischen Anschlägen vom Betreiber Maßnahmen einfordern, und deren Sicherheitskonzept gerichtlich überprüfen lassen. Das OVG Schleswig sowie die Juristen des Bundesamtes für Strahlenschutz waren noch der Auffassung, dass Terroranschläge dem Staat gelten, somit allein die Allgemeinheit beträfen und von dieser auch hinzunehmen seien. Es bedurfte der Klage eines standhaften Wohnimmobilienbesitzers in ca. 5 km Entfernung zum AKW, um die Bestätigung zu erhalten, dass es entgegen der Auffassung des OVG Schleswig und des Bundesamtes für Strahlenschutz ein vorsorgebedürftiges Besorgnispotential bei den Anwohnern durch mögliche Terroranschläge gibt. Die Richter unter Vorsitz von Wolfgang Sailer verwiesen die Sache zur Neuverhandlung an das Oberverwaltungsgericht Schleswig zurück, das die Klage des Mannes in erster Instanz abgewiesen hatte. Den betroffenen Nachbarn solcher Anlagen steht ein individuelles Klagerecht auch bezüglich „terroristischer Szenarien“ zur Seite, urteilten die Bundesrichter.

Vorgeschichte

Um Atommülltransporte zu verringern, vereinbarte die Bundesrepublik Deutschland mit den Betreibern der deutschen Atomkraftwerke, an den Standorten Zwischenlager zu erreichten.

Für das AKW Brunsbüttel wurde am 30. November1999 eine Halle für 150 Castorbehälter V/52 beantragt. Nach Auslegung der Antragsunterlagen, Einwendungen und Erörterungstermin wurde am 24.September 2003 von der Stadt Brunsbüttel die baurechtliche Genehmigung erteilt und schon am 07.Oktober 2003 war Baubeginn. Am 28.November 2003 wurde die Atomrechtliche Genehmigung für die Einlagerung von 80 Castorbehältern vom Typ V/52 erteilt. Am 17.Februar 2004 wurde die Klage gegen das Standortzwischen-lager eingereicht. Feierliche Inbetriebnahme mit der Einlagerung des ersten mit abgebrannten Brennelementen befüllten Castorbehälters war der 05. Februar 06. Der Sofortvollzug war durch das Bundesamt für Strahlenschutz angeordnet worden. Mir wurde mitgeteilt, dass, wenn ich die Klage gewinne, die eingelagerten Castorbehälter nach Gorleben transportiert würden und deshalb der Sofortvollzug nicht mit Aussicht auf Erfolg angegriffen werden könnte.

Die Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Schleswig fand am 31.Januar 07 statt. Der Senat gelangte zu der Auffassung, dass Castoren grundsätzlich für die Langzeitaufbewahrung von radioaktiven Brennelementen geeignet und zuverlässig seien. Dies führte der Vorsitzende Richter des 4. Senats, Dierk Habermann, in seiner mündlichen Begründung der Entscheidung aus. Bezüglich des vom Kläger unter Einschaltung externer Gutachter vorgebrachten Einwands, es fehle an einem ausreichenden Schutz des Zwischenlagers gegenüber eines herbeigeführten Flugzeugabsturzes sowie eines mit einer Panzerfaust ausgeführten Angriffs, sah das Gericht keinen weiteren Prüfungsbedarf, da „terroristische Szenarien“ nicht drittschützend seien. Zwar dürfe der Staat dem Betreiber auch insoweit Vorsorge abverlangen. Dem Bürger stünden insoweit jedoch keine klagefähigen Rechte zur Seite. Dass sich das Gericht seiner Sache nicht ganz sicher war, zeigte sich nach Auffassung des Klägeranwalts Dr. Wollenteit daran, dass es Revision zugelassen hatte. Die Bundesrepublik Deutschland als Beklagte sowie die Betreiber des Zwischenlagers hatten von Anfang an geltend gemacht, dass die Klage insgesamt unzulässig sei und damit praktisch die Auffassung vertreten, dass Anwohner bezüglich von „Störmaßnahmen und Einwirkungen Dritter“ (§ 6 Abs. 2 Nr. 4 AtG) völlig rechtlos seien.

Bundesverwaltungsgericht

Dank vieler Spenden konnte der gerichtliche Weg bis zum Bundesverwaltungsgericht bestritten werden. Das dabei errungene Urteil hat einen sehr wichtigen Etappensieg gebracht. Die mündliche Verhandlung vor dem 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts fand am 10. April in Leipzig unter Anwesenheit ehemaliger Lauenburger Mitstreiter, von weiteren Freunden und zum Glück auch einigen Pressevertretern statt.

In der anschließenden Pressemitteilung des Gerichts heißt es: „Der Nachbar eines Standortzwischenlagers kann vor Gericht die dafür erteilte atomrechtliche Genehmigung mit der Begründung abwehren, dass der erforderliche Schutz gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter nicht gewährleistet ist. Ob und in welchem Umfang ein solcher Schutz geboten ist, hat die Genehmigungsbehörde in eigener Verantwortung zu beurteilen. Ihre Entscheidung ist von den Gerichten dahingehend zu überprüfen, ob die behördliche Risikoermittlung und Risikobewertung auf einer ausreichenden Datenbasis beruht und dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht“.

Ganz ungläubig habe ich die Freundlichkeit der fünf Leipziger Richter zur Kenntnis genommen. Die herbe Erfahrung damals vor dem OVG Schleswig am 31.Januar 07 war als Kontrasterfahrung noch in Erinnerung. Der vortragende Richter hatte damals den Schriftsatz unseres Klägeranwalts verlesen, das war natürlich in unserem Sinne. Und dann war die Verhandlung plötzlich gekippt, weil das OVG die „radikale“ Auffassung vertrat, es gäbe gar keinen Drittschutz und schon deshalb seien auch die Beweisanträge des Klägers zurückweisen. Ganz umsonst war damals Frau Prof. Oda Becker für die Kläger anwesend, die sich mit dem Beschuss panzerbrechender Waffen auf Castorbehälter im Zusammenhang mit dem integrierten Sicherungs- und Schutzkonzept auseinander gesetzt hatte und zu ganz anderen Berechnungen gekommen war, als das Bundesamt für Strahlenschutz. Das Oberverwaltungsgericht hatte die Risiken für Leben und Gesundheit des Klägers infolge eines ge¬zielten Flugzeugabsturzes auf das Zwischenlager sowie infolge eines Beschusses der Castorbehälter mit panzerbrechenden Waffen damit vollständig ausgeblendet und einem möglichen Einspruchsrecht des Nachbarn entzogen.

Auf halber Strecke

Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ent¬gegengetreten: Der Schutz vor terroristischen Anschlägen auf ein Standortzwischen¬lager unterfällt danach grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Atomgesetzes. Der gegenteiligen Auffassung der Betreiberseite wurde eine eindeutige Absage erteilt. Die Vorsorge gegen solche Risiken dient auch dem Schutz individueller Rechtsgüter der in der Nähe des Zwischenlagers wohnenden Nachbarn. Damit war auch die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer gegenteiligen Auffassung gescheitert. Die staatliche Terrorbekämpfung entbindet den Anlagenbetreiber nicht von der Pflicht zu Maßnahmen zum Schutz der Anlage und ihres Betriebs, die in seinen Verantwortungsbereich fallen. Dem Schutzanspruch Drittbetroffener auf Vorsorge vor terroristischen Anschläge wird nur dann genügt, wenn die Genehmigungsbehörde die relevanten Risiken ermittelt, bewertet und gegebenenfalls willkürfrei dem Bereich des Restrisi¬kos zugeordnet hat.

Besonders erfreulich ist, dass in Leipzig die seit dem 11. September von den Betreibern propagierte Linie, welche auf eine völlige Ausblendung des Risikos terroristischer Anschläge abzielte, vollständig gescheitert ist. In vielen Schriftsätzen, die der AKW-Betreiber verfasst hatte, war gebetsmühlenhaft zu lesen, dass die Klage schon deshalb abzuweisen sei, weil Terroranschläge auf die Allgemeinheit zielten und einem kriegerischen Ereignis gleichzusetzen seien. Diese Debatte hat mit dem „Machtwort“ aus Leipzig erfreulicherweise ihren Schlusspunkt gefunden.

Der Anerkennung von „Drittschutz“ bei terroristischen Anschlägen kommt aber auch eine weit über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Bereits heute sind Klagen beim OVG Schleswig und beim VGH Kassel anhängig, die auf den Widerruf der Betriebsgenehmigungen für die Reaktoren gerichtet sind. Auch die Erfolgsaussichten dieser Klagen sind durch die Entscheidung erheblich gewachsen.

Der Urteilstext BVerwG 7 C 39.07 – Urteil Datum vom 10. April 2008 download

Perspektive

Wir wollen den sofortigen Atomausstieg. Es geht nicht nur darum, ob das altersschwache AKW, in das viel Geld versenkt wurde und das dann durch eine Netzschwäche am 28. Juni 2007 eine Schnellabschaltung erfuhr und dann am 18. Juli 2007 aus der Stromproduktion genommen wurde, u.a. weil Dübel vor 30 Jahren falsch montiert wurden, endgültig stillgelegt wird. Es geht auch um die Zeit danach, wenn Atomkraftwerke total aus den Medien verschwunden sein werden. Für die mit Castor-Behältern proppevoll gefüllten Standortzwischenlager wird dann nicht einmal mehr ein Nachtwächter bezahlt. Niemand wird merken, dass die Überwachungselektronik versagt. Unsere Kinder werden vielleicht vergessen haben, dass es einmal eine Stromproduktion aus der Atomspaltung gab.

Darum ist es wichtig, dass wir jetzt einen Fuß in der juristischen Tür behalten und weiter machen. Dazu ist auch die Stimmung und das Wissen in der Bevölkerung notwendig, um nicht auf Falschinformation herein zu fallen.

Das Urteil zum Download hier...

Klägerkonto
Betreff: Standortzwischenlager am AKW Brunsbüttel
Dithmarscher Volks- und Raiffeisenbank e.G.
BLZ : 218 900 22 Konto Nr.: 5015 432 111

Anke Dreckmann

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