OVG wies Klage gegen AKW Brokdorf
kostenpflichtig ab
Gibt es Gründe, den Prozeß weiterzuführen?
1. Vor der mündlichen Verhandlung:
Der Kläger Karsten Hinrichsen aus Brokdorf hatte in einer Reihe
von Schriftsätzen seine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit
der 2. Teilbetriebsgenehmigung für das AKW Brokdorf vorgetragen.
Das beklagte Kieler Ministerium für Finanzen und Energie (MFE)
hatte - außer daß es beantragt hatte, die Klage abzuweisen
keinerlei Anzeichen erkennen lassen, den Prozeß aktiv zu gestalten.
Auch die Beigeladenen - das sind Siemens/KWU AG als Erbauer, die
Brokdorf GmbH als Betreiberin und die PreußenElektra als deren
Mutterkonzern - beantragten, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
Zum ersten Verhandlungstag im Juni dieses Jahres waren 50 UnterstützerInnen
erschienen, an den beiden folgenden Verhandlungstagen waren über
20 UnterstützerInnen anwesend - dafür möchte sich
der Kläger noch einmal ganz herzlich bedanken.
2. Argumentation des beklagten MFE
In der mündlichen Verhandlung behaupteten MFE und Beigeladene,
schon mit der 4. Teilerrichtungsgenehmigung aus dem Jahr 1982 und
mit der 1. Teilbetriebsgenehmigung von 1985 sei der Einsatz von
MOX-Brennelementen und die Höhe der radioaktiven Emissionen
festgesetzt worden. Im übrigen, so das Ministerium, sei im
sog. "vorläufigen positiven Gesamturteil" festgestellt
worden, das AKW Brokdorf könne entsprechend dem kerntechnischen
Regelwerk errichtet und betrieben werden, ohne daß Dritte
in ihren Rechten verletzt würden.
3. Klägervortrag
Der Kläger betonte dagegen, die Höhe der Abgabewerte
für den Normalbetrieb sei erst mit der von ihm angegriffenen
2. Teilbetriebsgenehmigung festgesetzt worden. Vorher hätten
lediglich Antragswerte der KWU zur Debatte gestanden, an die die
Genehmigungsbehörde sich nicht hätte halten müssen
(und dies auch nicht getan hat: für radioaktives Jod hat sie
höhere Abgabewerte zugelassen als beantragt!).
Auch der Einsatz von MOX-Brennelementen wurde - so die Rechtsposition
des Klägers - erst mit der von ihm beklagten 2. Teilbetriebsgenehmigung
gestattet. Noch in der 1. Teilbetriebsgenehmigung wurde der Einsatz
von MOX-Brennelementen ausdrücklich nicht gestattet.
4. Rechtsstaatliche Konsequenzen des Urteils
Anwalt Günnemann brachte die Vorgehensweise des Gerichts in
einer Art Schlußwort auf den Punkt:
Verwaltungsgerichte lehnen offenbar eine Auseinandersetzung über
Genehmigungsinhalte ab. Dies mag seine Ursachen in den äußerst
komplexen technischen Sachverhalten haben (z.B. die fragliche Vereinbarkeit
des Restrisikobegriffs mit dem Grundgesetz; die Änderung des
Sicherheitskonzepts durch den Einbau des sog. Wallmann-Ventils,
das beim Kernschmelzunfall ein Bersten des Sicherheitsbehälters
unter Freisetzung von Radioaktivität verhindern soll; die Berechnung
der Strahlenbelastung mit der Fiktion der sog. Referenzperson männlich,
gesund, 20 bis 30 Jahre alt, 70 kg schwer) in einem Rechtsstaat,
in dem von Einzelpersonen nur Individualrechte einklagbar sind.
Als Rettungsanker wird dann die Konklusion bemüht: Wer war
zuerst da, die Genehmigung oder die Klage dagegen? Wenn das Gericht
meint, das Zurückweisen von Einwendungen und das pauschal gefällte
positive Gesamturteil nötige Anwohner dazu, Klage zu erheben,
obwohl im verfügenden Teil der Genehmigung die streitbefangenen
Tatbestände gar nicht geregelt sind, so bedeutet dies eine
Verweigerung rechtlichen Gehörs. Die Folge wäre, daß
in großen Genehmigungsverfahren (beim AKW Brokdorf zehn Jahre
Dauer und sechs Teilgenehmigungen mit etlichen Änderungsgenehmigungen)
Drittbetroffene genötigt wären, von Anfang an alle Genehmigungen
zu beklagen, um nicht bei der letzten und entscheidenden Betriebsgenehmigung
Gefahr zu laufen, präkludiert zu werden. Ein effektiver Rechtsschutz
ist so nicht mehr gewährleistet.
Dieser Weg kann jedoch wegen der immensen Kosten und jahrelangen
nervlichen Belastungen von Anwohnern nicht beschritten werden. Daraus
ergibt sich folgendes verfassungsrechtliche Problem: Das im Grundgesetz
verankerte Recht, Behördenentscheidungen gerichtlich überprüfen
u lassen, würde ausgehebelt.
5. Rolle der rotgrünen Landesregierung
Das MFE hat die verfassungsrechtliche Bedeutung der Präklusion
in ihrem Bemühen, den Genehmigungsbescheid zu retten, nicht
erkannt. Damit hat die rotgrüne Landesregierung all denjenigen,
die von Großprojekten betroffen sind, einen schlimmen Bärendienst
erwiesen, der freilich schon System hat. Daß auch grüne
Kabinettsmitglieder (der Energiestaatssekretär Willi Voigt
ist Mitglied der Grünen) sich daran beteiligen, grundgesetzlich
verbriefte Verfassungsrechte auszuhebeln, ist ungeheuerlich.
Hätte die Klage Erfolg gehabt (und für diese Annähme
gibt es gute Gründe, die das Gericht aber nicht anhören
wollte), wäre die ausstiegswillige Landesregierung in eine
Zwickmühle geraten. Sie hätte Brokdorf eine Genehmigung
erteilen (wie peinlich) oder verweigern müssen. Deshalb hat
die Landesregierung den Kläger über die Klinge springen
lassen (wie schon die Klägerin Renate Backhaus gegen das AKW
Krümmel) und so dem AKW Brokdorf zum Weiterbetrieb verholfen.
6. Resümee des Klägers
Resignierend stelle ich fest: Ganz gleich, ob Barschel (CDU), Jansen
und Möller (SPD) oder Voigt (Grüne), alle wollten diese
Klage vom Tisch haben. Daß sie dies nicht über die inhaltliche
Auseinandersetzung mit meinen Argumenten tun, sondern einfach behaupten,
ich sei nicht klagebefugt, ist besonders deprimierend,
Nach meinen Erfahrungen ist für mich nicht erkennbar, daß
der Atomausstieg unter einer rotgrünen Bundesregierung über
die parlamentarische Schiene vorankommen wird. Was bleibt, ist unser
Kampf auf der Straße.
(Gekürzte Fassung)
Dr. Karsten Hinrichsen
.- Wissenschaftlicher EfuN-Beirat
25576 Brokdorf
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