BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 11 B 47.98
OVG 4 K 9/93
In der Verwaltungsstreitsache
des Herrn Dr. Karsten H i n r i c h s e n Dorfstraße 15,
25576 Brokdorf,
Klägers und Beschwerdeführers,
- Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Renate Eckoldt, Winfried Günnemann,
Bernd Vetter, Marion Pein und Anke Niehaus,
Kirchenallee 25, 20099 Hamburg
g e g e n
das Ministerium für Finanzen und Energie des Landes Schleswig-Holstein,
Abt. Reaktorsicherheit, Adolf-Westphal-Straße 4, 24143 Kiel,
Beklagten und Beschwerdegegner,
Beigeladene:
1. Preußen Elektra Kernkraft GmbH und Co. KG,
Tresckowstraße 5, 30457 Hannover,
2. Kernkraftwerk Brokdorf GmbH,
Pappelallee 35 - 37, 22089 Hamburg,
3. Siemens AG, Unternehmensbereich KWU,
Hammerbacherstraße 12 - 14, 91058 Erlangen,
- Prozeßbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte Bruckhaus, Westrick, Heller und Löber,
Freiligrathstraße 1, 40479 Düsseldlorf -
- Prozeßbevollmächtigte zu 3:
Rechtsanwälte Redeker, Schön, Dahs und Sellner,
Mozartstraße 4 - 10, 53115 Bonn -
hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 9. Juni 1999
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht H i e
n und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S t o r o s t
und V a 1 1 e n d a r
beschlossen
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht
vom 19. Juni 1998 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren,
auf 20 000 DM festgesetzt.
G r ü n d e
Die Beschwerde kann keinen Erfolg haben. Die zu ihrer Begründung
angeführten Gesichtspunkte rechtfertigen die Zulassung der
Revision nicht.
1, Einen Verfahrensmangel, der zur Zulassung der Revision gemäß
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen könnte, hat der Kläger
entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht schlüssig bezeichnet.
Seine Rüge, die Revision sei "wegen der Gewährleistung
des rechtlichen Gehörs" geboten, weil das Oberverwaltungsgericht
sein Vorbringen zu den örtlichen Besonderheiten bei der Berechnung
der Strahlenbelastung aus dem Normalbetrieb teilweise nicht berücksichtigt
habe, reicht hierzu nicht aus. Denn das Gericht hat diesen Vortrag
in der angefochtenen Entscheidung sehr wohl vollständig berücksichtigt,
jedoch aufgrund der dem Kläger gegenüber in Bestandskraft
erwachsenen vorangegangenen atomrechtlichen Genehmigungen für
teilweise materiellrechtlich präkludiert gehalten. Ob das Oberverwaltungsgericht
den Sachverhalt insoweit materiellrechtlich zutreffend gewürdigt
hat, ist jedoch keine verfahrensrechtliche Frage.
2. Auch eine die Revisionszulassung rechtfertigende Abweichung
des erstinstanzlichen Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
ist vom Kläger nicht in einer den Anforderungen des 5 133 Abs.
3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise dargelegt worden. Eine solche
Abweichung im Sinne des 5 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur dann vor,
wenn sich das Oberverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift
mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu
einem in der angezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat;
die Beschwerdebegründung muß darlegen, daß und
inwiefern dies der Fall ist (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse
vom 21. Juli 1988 -BVerwG 1 B 44.88 - Buchholz 130 § 8 RuStAG
Nr. 32 und vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 68.91 - Buchholz 310
§ 132 VwGO Nr. 302). Daran fehlt es hier. Die dem erstinstanzlichen
Urteil entnommenen, nach Meinung des Klägers von Entscheidungen
des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtssätze,
- nach dem Gesamtzusammenhang der atomrechtlichen Entscheidung
hätten für einen mit den Umständen des Falles vertrauten,
verständigen Dritten - wie den Kläger - keine ernstlichen
Zweifel daran verbleiben können, daß das mit der ersten
Teilbetriebsgenehmigung verbundene vorläufige positive Gesamturteil
(auch) den Einsatz von MOX-Brennelementen mitumfasst habe, und
- mit der Zurückweisung von Einwendungen des Klägers
gegen die Zugrundelegung bestimmter Annahmen der Strahlenexpositionsberechnung
des Beklagten durch die erste Teilbetriebsgenehmigung unter ausdrücklichem
Hinweis auf die Berechnungsmodelle der "Allgemeinen Berechnungsgrundlage
für die Strahlenexposition bei radioaktiven Ableitungen mit
der Abluft oder in Oberflächengewässer (Richtlinie zu
§ 45 StrlSchV)" sei über die Sache selbst entschieden
worden, so daß es dem Kläger oblegen hätte, den
Eintritt der nunmehr gegen ihn wirkenden Bestandskraft jener Genehmigung
durch eine Anfechtung zu verhindern,
sind nicht abstrakt, sondern konkret, nämlich nur auf den
zu entscheidenden Fall bezogen. Sie kommen deshalb zur Begründung
einer Divergenz von vornherein nicht in Betracht.
An dieser Einschätzung ändert sich auch dann nichts,
wenn man in den Blick nimmt, daß die Beschwerde hinsichtlich
der erstgenannten Aussage eine Divergenzrüge dahin gehend erhebt,
das Oberverwaltungsgericht lege an die Erkennbarkeit der Anfechtungslast,
wenn es auf einen "verständigen" Dritten abhebe,
einen objektiven Maßstab an, während das Bundesverwaltungsgericht
in seinem Urteil vom 7. Juni 1991 - BVerwG 7 C 43.90 - (BVerwGE
88, 286 <292>) "auf den Empfängerhorizont potentiell
Drittbetroffener" abstelle womit ein "subjektiver Bezugspunkt"
gewählt werde. Denn der Widerspruch, den die Beschwerde damit
aufzeigen will, ergibt sich nur aus einer Interpretation der zitierten
Urteilspassagen, die deren Inhalt nicht gerecht wird. Dem Hinweis
auf den entsprechend anzuwendenden Auslegungsgrundsatz des §
133 BGB ist zu entnehmen, daß nach dem Urteil des 7. Senats
vom 7. Juni 1991 der erklärte Wille maßgebend ist, wie
ihn der Empfänger der Willenserklärung - oder hier ein
Drittbetroffener - bei objektiver Würdigung verstehen konnte
(vgl. z.B. BVerwGE 60, 223 <228 f.>). Dem entspricht es aber
gerade, wenn das Oberverwaltungsgericht darauf abhebt, wie sich
der Inhalt der in Rede stehenden Genehmigung aus der Sicht eines
"verständigen Dritten" darstellt. Damit wird nämlich
in Übereinstimmung mit der Auslegungsregel des § 133 BGB
die Berücksichtigung unvernünftiger Überlegungen
ausgeschlossen.
3. Schließlich hat die Rechtssache auch nicht die ihr mit
der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung im Sinne
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dies wäre nur dann zu bejahen,
wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine
konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung
war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren erheblich
wäre und deren höchstrichterliche Klärung zu Erhaltung
der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen
Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BVerwGE 13,
90 <91 f.>). Die vom Kläger in der Beschwerdebegründung
bezeichneten Rechtsfragen erfüllen diese Anforderungen nicht.
Die zunächst aufgeworfene Frage, welche Anforderungen an die
Eindeutigkeit des Regelungsgehalts einer atomrechtlichen Genehmigung
zu stellen sind, um die Präklusionswirkung eintreten zu lassen,
war für das Oberverwaltungsgericht nur insoweit von Bedeutung,
als sie die Präklusion durch die Bindungswirkung des vorläufigen
positiven Gesamturteils einer vorausgegangenen Teilgenehmigung betraf,
Insoweit ist sie durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
bereits hinreichend geklärt. Danach braucht das vorläufige
positive Gesamturteil als notwendiger Inhalt jeder Teilgenehmigung
zwar nicht eigens im verfügenden Teil des Genehmigungsbescheides
aufgeführt zu werden (BVerwGE 72, 300 <309>); die durch
den Bescheid potentiell betroffenen Dritten, auf deren Empfängerhorizont
bei seiner Auslegung auch entscheidend abzustellen ist, müssen
jedoch hinreichend deutlich erkennen können, welche Anfechtungslast
ihnen dadurch aufgebürdet wird (vgl. BVerwGE 72, 300 <305>;
80, 207 <215 f.>; 88, 286 <292>). Unter welchen Voraussetzungen
der jeweilige Gegenstand eines in einer atomrechtlichen Teilgenehmigung
enthaltenen vorläufigen positiven Gesamturteils für Drittbetroffene
hinreichend deutlich erkennbar ist, hängt von den tatsächlichen
Umständen des Einzelfalles ab und ist daher einer weitergehenden
Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich.
Konkretisiert man die Frage mit der Beschwerdebegründung dahin
gehend, "ob der Einwendungsausschluß des § 7 b AtG
gegenüber einer nachfolgenden Teilbetriebsgenehmigung auch
dann gilt, wenn insbesondere dadurch der Kläger über die
Reichweite des Regelungsgehalts der vorausgegangenen Teilbetriebsgenehmigung
im unklaren gelassen wurde, daß in dieser vorausgegangenen
Teilbetriebsgenehmigung ausdrücklich im gestattenden Teil der
Genehmigung der Regelungsgegenstand (Einsatz von MOX-Brennelementen)
verneint wird und in dein Begründungsteil im Abschnitt "vorläufiges
positives Gesamturteil" hierzu keine Ausführungen enthalten
sind", war sie für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts
nicht von Bedeutung; denn diese ging gerade davon aus, daß
für den Kläger nach dem Gesamtzusammenhang der vorausgegangenen
Teilbetriebsgenehmigung keine ernstlichen Zweifel daran verbleiben
konnten, daß das mit dieser Genehmigung verbundene vorläufige
positive Gesamturteil (auch) den Einsatz von MOX-Brennelementen
umfaßte, der Kläger also hierüber nicht im unklaren
gelassen wurde. Abgesehen davon bezieht sich diese Frage nur auf
die Besonderheiten des vorliegenden Falles, ohne daß ein Grund
erkennbar ist, der die Anerkennung ihrer allgemeinen Bedeutung rechtfertigen
könnte.
Im Zusammenhang mit dem Vorbringen des Klägers Zur Überschreitung
der Dosisgrenzwerte hat die Beschwerde sinngemäß die
Frage aufgeworfen, ob nicht ein vorläufiges positives Gesamturteil
nur dann zur Präklusion führt, wenn es "zu einer
Rechtsverletzung des Drittbetroffenen führt und diesen zu Wahrung
seiner Rechte durch Anfechtung der Genehmigung nötigt".
Daß diese Frage im Revisionsverfahren erheblich wäre,
hat der Kläger nicht hinreichend dargetan.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Zurückweisung der Angriffe
des Klägers gegen die Festlegungen zur Abgabe radioaktiver
Stoffe im bestimmungsgemäßen Betrieb nämlich nicht
allein darauf gestützt, daß der Kläger mit seinen
Einwendungen gegen die Zugrundelegung der Rechenmodelle und Parameteransätze
der Richtlinie zu § 45 StrlSchV durch das auf deren Grundlage
gebildete vorläufige positive Gesamturteil vorangegangener
Teilgenehmigungen präkludiert sei (UA S. 122 f.). Es hat die
Klage insoweit vielmehr unabhängig davon auch deshalb für
unbegründet gehalten, weil die vom Kläger vorgetragenen,
von den Annahmen der genannten Richtlinie abweichenden Tatsachenbehauptungen
und -bewertungen im Ergebnis ohnehin keinen Einfluß auf die
alleinentscheidungserhebliche rechtliche Betroffenheit des Klägers
gehabt hätten (UA S. 133 f.). Ist das vorinstanzliche Urteil
somit auf mehrere selbständige Begründungen gestützt,
so bedarf es zur Zulässigkeit der Beschwerde in bezug auf jede
dieser Begründungen eines geltend gemachten und vorliegenden
Zulassungsgrundes (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Juni 1990
BVerwG 1 B 92.90 - Buchholz 11 Art- 116 GG Nr. 20 S. 11 f. und vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 133 <n.F.>
VwGO Nr. 26 S. 1.5). Daran fehlt es hier.
Soweit der Kläger auch in diesem Zusammenhang schließlich
beanstandet, das angefochtene Urteil habe außer acht gelassen,
daß das vorläufige positive Gesamturteil für den
Drittbetroffenen erkennbar sein müsse, rügt er nur eine
fehlerhafte Anwendung der vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten
Rechtssätze. Dies reicht zur Darlegung einer grundsätzlichen
Bedeutung der Rechtssache nicht aus.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf g 154 Abs. 2, § 162 Abs,
3 VwGO, die Streitwertfortsetzung auf § 13 Abs, 1 Satz 1, §
14 GKG.
Hien |
Dr. Storost |
Vallendar |
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