Kieler Nachrichten vom 18.06.1998

Atomkraftgegner Hinrichsen klagt
seit zwölf Jahren gegen Betriebsgenehmigung

Dauerbrenner Brokdorf

Schleswig - Seit zwölf Jahren prozessiert Kernkraftgegner Karsten Hinrichsen gegen das Atomkraftwerk Brokdorf, das ihm seit Inbetriebnahrne 1986 täglich vor Augen steht: Keine zwei Kilometer von seinem Haus entfernt, bedrohe das 3,8 Milliarden Mark teure AKW an der Unterelbe seine Gesundheit durch Strahlenbelastung, begründet der promovierte Meteorologe seine Klage gegen die Erteilung der Betriebsgenehmigung durch das Energieministerium des Landes. Gestern vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in Schleswig wurde der zunächst auf drei Verhandlungstage angesetzte Prozeß eröffnet.

Damit geht das ursprünglich im November 1986 in Gang gesetzte Verfahren bereits in die dritte Runde: Zunächst hatte Hinrichsen vor dem damals zuständigen Oberverwaltungsgericht Lüneburg Klage gegen die zweite Teilbetriebsgenehmigung erhoben, die den Betreibern mit Wirkung zum 3. Oktober 1996 den nuklearen Dauerbetrieb unter Verwendung plutoniumhaltiger Brennelemente erlaubt. Zur Begründung führt Hinrichsen sicherheitstechnische Mängel an: Er selbst ernte auf seinem Grundstück in unmittelbarer Nähe Obst und Gemüse zum Eigenverzehr. Eine Kuh, die er als Anteilseigner mitbesitze, weide nur ein Kilometer vom Meilerentfernt.

Bei einem Milchkonsum von 430 Litern pro Jahr bedeute dies schon beim Normalbetrieb des AKW eine wesentliche Überschreitung der zulässigen Strahlenbelastung. zumal die Grenzwerte die Auswirkungen der Tschernobyl-Katastrophe nicht berücksichtigen würden, die der Genehmigung zugrundeliegenden Störfall-Leitlinien von 1983 seien wissenschaftlich überholt. Zudem seien die Meßergebnisse der AKW-Umgebungsüberwachung zu 30 Prozent ungenau und zum Nachweis von Grenzwertüberschreitungen ungeeignet. Hinrichsen führt zahlreiche weitere Mängel an, der Sachvortrag durch den Berichterstatter des 4. Senats nahm gestern zweieinhalb Stunden in Anspruch.

Im Juni 1989 wies das OVG Lüneburg die Klage zurück, Hinrichsen ging in Revision beim Bundesverwaltungsgericht (BVG). Mit Erfolg, denn eine Lüneburger Richterin hatte die Unterschrift unter das Urteil ihres eigenen Senats verweigert. Begründung: Mehr als fünf Monate nach der mündlichen Urteilsverkündung könne sie sich nicht mehr daran erinnern, ob die schriftliche Ausfertigung noch mit der mündlichen Begründung übereinstimme.

Von der Zulassung der Revision (Juli 1990) bis zur Aufhebung des OVG-Urteils (Oktober 1993) ließ das Bundesverwaltungsgericht mehr als drei Jahre vergehen - schließlich hat Hinrichsens Klage keine aufschiebende Wirkung. Inzwischen ist das OVG Schleswig für die Sache zuständig. Hier erklärten die Richter gestern die weiteren Verzögerungen mit dem Fehlen schriftlicher BVG-Urteilsgründe und mit Personalwechsel.

Die Zeiten der großen Anti-AKW-Demonstrationen sind längst vorbei. Gestern begleiteten immerhin noch rund 50 Sympathisanten, darunter Mitglieder vom Landesverband der Grünen, den unermüdlichen Kämpfer von der Wilstermarsch. Mit ihren Spenden finanzierten sie Hinrichsens Verfahrenskosten, die sich auf bislang 50000 Mark belaufen. Die nun eröffnete Prozeßrunde wird Hinrichsen nach eigener Schätzung weitere 24 000 Mark kosten.

Der Prozeß wird fortgesetzt.

THOMAS GEYER