NR - 5.11.1993
Neuer Prozeß in Schleswig
Die Brokdorf-Verhandlung beginnt wieder von vorn
BROKDORF (jo). Nach sieben Jahren auf dem Klageweg beginnt alles
von vorne: Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes hat die Klage
von Dr. Karsten Hinrichsen gegen die 2. Teilbetriebsgenehmigung
für das Kernkraftwerk Brokdorf an das Oberverwaltungsgericht
(OVG) Schleswig zurückverwiesen. Das Urteil des OVG Lüneburg,
das gegen Dr. Hinrichsen entschieden hatte, hat das Verwaltungsgericht
aufgehoben.
Vorausgegangen war ein siebenjähriger Marathon-Rechtsstreit.
Ein Eilantrag wegen unsicherer Absperrventile wurde 1986 abgelehnt.
Das damals zuständige OVG Lüneburg wies die Klage im Hauptverfahren
zurück und ließ keine Revison zu. Nachdem sich Dr. Hinrichsen
die Revision erklagt hatte, konnte der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes
diese Revison allerdings nicht verhandeln. Zuerst mußte die
Frage geklärt werden, ob das OVG Lüneburg überhaupt
rechtmäßig entschieden hatte. Der Grund: Das schriftliche
Urteil wurde in Lüneburg erst über fünf Monate nach
der mündlichen Verhandlung abgefaßt.
Da die Bundesgerichte zu dieser Fünf-Monatsfrist unterschiedliche
Ansichten hatten, wurde die Rechtsfrage dem Gemeinsamen Senat sämtlicher
obersten Bundesgerichte zur Entscheidung vorgelegt. Das Ergebnis:
Urteile, die länger als fünf Monate nach der mündlichen
Verhandlung abfaßt werden, sind nicht gültig. Erste Auswirkung
war, daß der Brokdorf-Prozeß in Schleswig von vorn beginnt.
Karsten Hinrichsen geht es nicht nur um die Stillegung des Reaktors.
Nach dem Urteil des 7. Senats ist laut Dr. Hinrichsen weiterhin
offen, ob wegen der Strahlenbelastung durch den Reaktorunfall in
Tschernobyl die radioaktiven Abgaben aus dem Kernkraftwerk Brokdorf
gesenkt werden müssen. Weiter sei nicht geklärt, ob Menschen,
die durch radioaktive Strahlung stärker gefährdet seien
als die sogenannte Referenzperson (ein 30jähriger gesunder
Mann mit normalen Ernährungsgewohnheiten), ein solches zusätzliches
Risiko zugemutet werden dürfe.
Hinrichsen möchte mit seiner Klage auch klären lassen,
ab welcher Eintrittswahrscheinlichkeit das sogenannte "Restrisiko"
beginnt und ob es "unüblich" ist, sich aus dem eigenen
Garten zu versorgen und landwirtschaftliche Produkte von ortsansässigen
Landwirten zu kaufen.
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