Klagen
   


Karsten Hinrichsen
Dorfstr. 15
2211 Brokdorf

23.Mai 1991

P R E S S E M I T T E I L U N G

Entscheidung im Brokdorf-Prozeß verschoben

Bundesverwaltungsgericht hebelt Strahlenschutz aus

Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Entscheidung im Revisonsverfahren des Brokdorfer Einwohners Karsten Hinrichsen gegen den Energieminister des Lands Schleswig-Holstein V. G. Jansen um die Dauerbetriebsgenehmigung für das AKW Brokdorf verschoben. Die Strahlenbelastung durch den Unfall im AKW Tschernobyl war bei der Genehmigung nicht zu berücksichtigen.

Weil das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die schriftliche Urteilsbegründung erst 6 1/2 Monate nach der mündlichen Verkündung abgesetzt hatte, ist der 7. Senat der Meinung, daß es nicht mit Gründen versehen ist. Da aber andere Senate des BVerwG anderer Auffassung sind, wie lange sich RichterInnen erinnern können, ist diese Frage dem Großen Senat des BVerwG zur Entscheidung vorgelegt worden. Der Termin der Verkündung ist noch nicht bekannt.

In der Frage, ob die Vorbelastung durch den Unfall in Tschernobyl hätte in Rechnung gestellt werden müssen, sind die Richter der Rechtsauffassung der AKW-Betreiber gefolgt. Das Gericht ist der Ansicht, daß die Grenzwerte des §45 Strahlenschutzverordnung nur für die Radioaktivität aus dem Normalbetrieb innerdeutscher AKWs gelten. Unfälle, sowohl aus deutschen wie auch aus ausländischen AKWs, sind demnach für die Gesundheit unerheblich.

Diese Entscheidung hatte der Kläger befürchtet. In einer ersten Stellungnahme heißt es: "Das höchste deutsche Verwaltungsgericht hat sich nicht gescheut, den in Artikel 2 des Grundgesetzes garantierten Schutz auf körperliche Unversehrtheit im Interesse der AKW-Betreibe auszuhebeln. Damit ist ein weiterer Schritt auf dem Wege getan, daß AKWs auch nach schweren Unfällen weiter genehmigt und betrieben werden können. Der Schutzzweck des Atomgesetzes steht nur noch auf dem Papier. Die Verwaltungsrichter haben im Ergebnis entschieden, daß keine Gesundheitsgefährdung von radioaktiven Stoffen ausgeht, die durch AKW-Unfälle freigesetzt werden. Eine naturwissenschaftlich völlig unhaltbare Einschätzung. Wer in der Nähe von ausländischen AKWs wohnt, hat doppelt Pech: denn sogar die normalbetrieblichen Radioaktivitätsabgaben aus ausländischen AKWs gelten nun als nicht mehr gesundheitsschädlich. Welchen Klimmzug der 7. Senat vollführt hat, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, daß bei Smogalarm z.B. auch nicht nach der Herkunft der Luftschadstoffe unterschieden wird." Hinrichsen resigniert: "Neben der ungelösten Entsorgung stellen die Folgen schwerer Unfälle das Problem der Atomenergienutzung dar. Es erscheint aussichtslos, sich dagegen gerichtlich zur Wehr zu setzen - bis zum nächsten Unfall."