Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Entscheidung
im Revisonsverfahren des Brokdorfer Einwohners Karsten Hinrichsen
gegen den Energieminister des Lands Schleswig-Holstein V. G. Jansen
um die Dauerbetriebsgenehmigung für das AKW Brokdorf verschoben.
Die Strahlenbelastung durch den Unfall im AKW Tschernobyl war
bei der Genehmigung nicht zu berücksichtigen.
Weil das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die schriftliche
Urteilsbegründung erst 6 1/2 Monate nach der mündlichen
Verkündung abgesetzt hatte, ist der 7. Senat der Meinung,
daß es nicht mit Gründen versehen ist. Da aber andere
Senate des BVerwG anderer Auffassung sind, wie lange sich RichterInnen
erinnern können, ist diese Frage dem Großen Senat des
BVerwG zur Entscheidung vorgelegt worden. Der Termin der Verkündung
ist noch nicht bekannt.
In der Frage, ob die Vorbelastung durch den Unfall in Tschernobyl
hätte in Rechnung gestellt werden müssen, sind die Richter
der Rechtsauffassung der AKW-Betreiber gefolgt. Das Gericht ist
der Ansicht, daß die Grenzwerte des §45 Strahlenschutzverordnung
nur für die Radioaktivität aus dem Normalbetrieb innerdeutscher
AKWs gelten. Unfälle, sowohl aus deutschen wie auch aus ausländischen
AKWs, sind demnach für die Gesundheit unerheblich.
Diese Entscheidung hatte der Kläger befürchtet. In
einer ersten Stellungnahme heißt es: "Das höchste
deutsche Verwaltungsgericht hat sich nicht gescheut, den in Artikel
2 des Grundgesetzes garantierten Schutz auf körperliche Unversehrtheit
im Interesse der AKW-Betreibe auszuhebeln. Damit ist ein weiterer
Schritt auf dem Wege getan, daß AKWs auch nach schweren
Unfällen weiter genehmigt und betrieben werden können.
Der Schutzzweck des Atomgesetzes steht nur noch auf dem Papier.
Die Verwaltungsrichter haben im Ergebnis entschieden, daß
keine Gesundheitsgefährdung von radioaktiven Stoffen ausgeht,
die durch AKW-Unfälle freigesetzt werden. Eine naturwissenschaftlich
völlig unhaltbare Einschätzung. Wer in der Nähe
von ausländischen AKWs wohnt, hat doppelt Pech: denn sogar
die normalbetrieblichen Radioaktivitätsabgaben aus ausländischen
AKWs gelten nun als nicht mehr gesundheitsschädlich. Welchen
Klimmzug der 7. Senat vollführt hat, wird deutlich, wenn
man sich vor Augen führt, daß bei Smogalarm z.B. auch
nicht nach der Herkunft der Luftschadstoffe unterschieden wird."
Hinrichsen resigniert: "Neben der ungelösten Entsorgung
stellen die Folgen schwerer Unfälle das Problem der Atomenergienutzung
dar. Es erscheint aussichtslos, sich dagegen gerichtlich zur Wehr
zu setzen - bis zum nächsten Unfall."