Norddeutsche Rundschau

15.09.1995

Nach Kranbesetzung, Freispruch in Meldorf

Was Greenpeace recht ist, ist Brokdorfgegnern billig

BROKDORF/MELDORF (gk). Mit strahlenden Mienen verließen die Atomkraftgegner gestern den Gerichtssaal: Die Verhandlung vor dem Amtsgericht Meldorf hatte ihre kühnsten Erwartungen übertroffen. Das Gericht hatte nicht nur das Verfahren gegen sie eingestellt, sondern der Staatsanwalt hatte in einer persönlichen Meinungsäußerung ein Plädoyer für ihr Anliegen gehalten. Ausgangspunkt war ein Transport abgebrannter Brennelemente ab Brokdorf.

Es ging um die - wie die Angeklagten darlegten symbolische Besetzung eines Baukrans, den sechs Männer und eine Frau am 6. Dezember 1993 während einer Protestkundgebung gegen den Transport von Brennelementen auf dem Gelände des Kernkraftwerkes Brunsbüttel bestiegen hatten. Um dorthin zu gelangen, mußte mit dem Bolzenschneider eine Kette durchtrennt werden. Da jedoch keinem der Angeklagten nachgewiesen werden konnte, den entscheidenden Schnitt getätigt zu haben, wurden sie vom Vorwurf der Sachbeschädigung freigesprochen.

Die Anklage wegen Hausfriedensbruch ließ das Gericht 'wegen "geringer Schuld und fehlenden öffentlichen Interesses" ebenfalls fallen. Es wurde zu Gunsten der aus Brunsbüttel und dem Landkreis Lüchow-Dannenberg stammenden Angeklagten angeführt, daß sich im Dezember vorletzten Jahres sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Kieler Innenministerium in die Vorgänge eingeschaltet hatten. Sie hatten veranlaßt, daß einige weitere Besetzer von der stark vertretenen Polizei ungehindert und ohne Feststellung der Personalien den Kran hatten verlassen können, um zu Verhandlungen mit Staatssekretär des Innenministeriums nach Itzehoe zu gelangen.

Der Staatsanwalt, der im Verfahren vor dem Amtsgericht gemeinsam mit dem Anwalt für die Einstellung des Verfahrens plädierte, verwies in einer persönlichen Stellungnahme auf politische Unstimmigkeiten und das Prinzip der Gleichbehandlung. Man müsse auch die "Kleinen" schützen, führte er aus, wenn politische Großorganisationen wie Greenpeace für ähnliche symbolträchtige Aktionen medienwirksam von den Politikern hofiert würden.

Auch die Angeklagten hatten sich mit dem politischen Symbolgehalt ihrer Protestaktion, die auf die Risiken der Atomkraft und des Brennelementetransports aufmerksam machen wollte, verteidigt.

Der Hamburger Anwalt eines der Angeklagten gab zu bedenken, daß derartige Fälle auf lange Sicht nicht auf der Ebene der Gleichbehandlung und der Kompetenzstreitigkeiten verhandelt werden könnten. Er verwies auf die fehlende politische Orientierung: "Keiner weiß im Bereich der Atomkraft mit der Entsorgungsfrage umzugehen. Nun werden permanent Sachzwange geschaffen. Es geht um die Frage, wie weit das Selbstverteidigungsrecht der von den atomaren Risiken Betroffenen reicht! "